„Kinder drücken ihre Trauer anders aus“
Hörspielautorin Maria Fremmer im Gespräch zu ihrer Produktion über ein Mädchen und den Verlust ihrer Mutter
Maria Fremmer, Jahrgang 1957, ist Lektorin und Hörspielautorin, sie wohnt in Köln. 2011 verfasste sie eine Hörspiel-Bearbeitung des Kinderbuch-Klassikers „Die Brüder Löwenherz“. Aktuell hat sie eine Hörspielfassung des Buches „Ein Geschenk aus dem Himmel“ der britischen Autorin Sarah Lean geschrieben, das gerade produziert und im Dezember ausgestrahlt wird (mehr Informationen am Seitenende).
Das Stück handelt von dem zehnjährigen Mädchen Cally, dessen Mutter ein Jahr zuvor bei einem Autounfall ums Leben kam. Seither hat sich das Leben für Cally sehr verändert. Es ergibt sich aber die Situation, dass sie ihre Mutter plötzlich wieder sehen kann. Weil ihr das niemand glaubt, verstummt sie. Obwohl sie nicht spricht, gewinnt Cally neue Freunde. Jed, einen Obdachlosen, mit seinem treuen Freund, einem großen irischen Wolfshund, und Sam, der nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen kann. Jed, Callys Mutter und der Hund scheinen sich zu kennen, aber wie kann das sein…? Sam hilft Cally, das herauszufinden.
Maria Fremmer schreibt dazu: „Die Geschichte handelt von Verlust, Trauer und Schmerz. Für Callys Vater ist der Schmerz so groß, dass sein Herz eingefroren ist – so erklärt es Sam, der sich mit Herzen auskennt. Und sie handelt von der Liebe und Verbundenheit, die bleibt, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Sie erzählt von der Kraft der Musik, sie erzählt von Freundschaft und davon, wie man einen geliebten Menschen im Herzen behält, wenn er in der physischen Welt nicht mehr da ist. Sie erzählt von der großen inneren Kraft eines zehnjährigen Mädchens und eines kranken Jungen. Es ist eine Geschichte über die Liebe zum Leben.“
Wir haben mit Maria Fremmer über Ihre Produktion gesprochen.
Liebe Maria, Du hast die Hörspielfassung von „Ein Geschenk aus dem Himmel“ verfasst. Wieso hast Du dieses Buch ausgewählt, was hat Dich daran fasziniert?
Mich haben Tiefe und Leichtigkeit des Stoffes angesprochen. Die Autorin hat aus der Geschichte eines großen Verlustes eine Geschichte über die Liebe, über Freundschaft, Mut und das Vertrauen ins Leben gemacht. Cally als sensible und ebenso starke Hauptfigur hat mir sehr gut gefallen, ebenso Sam und der obdachlose Jed. Sie alle haben keine Angst vor ihren Gefühlen und auch keine Angst vor der Angst sondern leben den Moment und setzen sich ein für das, was ihnen wichtig ist.
Nicht selten entwickeln Menschen aus der Verlusterfahrung beim Tod einer/s Angehörigen oder Freundes oder einer Freundin den Plan, Trauer- oder SterbebegleiterIn zu werden. Man kann dies als Schritt der Verarbeitung begreifen. Gab es eine Erfahrung in Deinem Leben, die Dich bewogen hat, Dich in diesem Hörspiel professionell mit dem Tod zu beschäftigen?
Wenn ich eine Geschichte bearbeite, lebe ich eine Weile mit ihr und natürlich fließen meine eigenen Erfahrungen mit ein. Ich wusste, es würde mir Freude machen, diese Verbindung mit dem Stück einzugehen. Dabei war es nicht eine einzige, spezielle Erfahrung, die mich dazu brachte. Ich habe schon einige Verluste in meinem Leben erlebt und habe die Erfahrung gemacht, dass es nicht zu umgehen ist, zu trauern, wenn ein Verlust das erfordert. Manchmal habe ich mir in diesen schwierigen Situationen gewünscht, es gäbe eine Geschichte, die meine Geschichte erzählt, aber bitte mit einem guten Ende. Nach dem Motto Ende gut, alles gut. Ich habe noch kein solches Buch oder Hörspiel gefunden, wohl aber Geschichten, die etwas in mir zum Mitschwingen bringen, weil sie Anteile enthalten, die mir vertraut sind. Diese Anteile sind es auch, die mich dazu bringen, eine Geschichte für eine Hörspielbearbeitung zu empfehlen, wenn sie gut geschrieben ist.
Während der Bearbeitung von Ein Geschenk aus dem Himmel habe ich mich wenig mit dem Tod beschäftigt. Zwar erzählt das Hörspiel davon, dass ein geliebter Mensch gestorben ist und irgendwie hatte ich das Gefühl, diese Frau, die Callys Mutter ist, hätte ich auch gerne kennengelernt, aber insgesamt habe ich mich bei der Bearbeitung des Stoffes viel eher mit dem Thema Verlust als mit dem Tod beschäftigt. Wie gelingt es Cally, ihre Mutter, die sie durch deren Tod verloren hat, nicht wirklich ganz und gar zu verlieren? Sie kämpft darum, dass ihre Mutter nicht totgeschwiegen wird, dass sie noch da sein darf und in der Familie einen Platz behält. Sie kämpft um die Erinnerung und um die Liebe zur Mutter. Sie kämpft um das, was sie an Schönem erfahren hat durch die Mutter und sie sorgt dafür, es behalten zu können.
Der Tod ist nicht das Ende einer Beziehung, die Liebe hört nicht einfach auf, wenn ein Mensch stirbt. Sie verwandelt sich. In Trauer, in Sehnsucht, in Erinnerung… und irgendwann darf sie vielleicht einfach wieder Liebe sein.
Welche Recherchen hast Du vorgenommen, bevor Du das Hörspiel niedergeschrieben hast, mit wem hast Du gesprochen, welche Bücher gelesen?
Ich durchforste immer die Verlagskataloge nach neuen Kinder- und Jugendbüchern auf der Suche nach Stoffen, die mir gefallen, um sie für eine Hörspielbearbeitung vorzuschlagen. Ich suche nach Stoffen, die vielschichtig sind, die in Erinnerung bleiben, weil sie berühren. Und wenn mir ein Buch begegnet, das mich berührt und dessen Inhalt ich beim Lesen schon ‚hören’ kann schlage ich es vor.
Manchmal hört man den Satz: „Kinder gehen mit dem Tod anders um als Erwachsene.“ Und dabei schwingt so ein Ton mit, als wäre es für Kinder einfacher zu verarbeiten, als würden sie es nicht so intensiv erleben oder schneller vergessen. Was meinst Du dazu?
Kinder drücken ihre Trauer in der Regel anders aus. Das heißt nicht – gar nicht! – sondern einfach anders, und es heißt auch nicht, dass es ihnen egal ist, wenn jemand weg ist oder dass sie unter einem Verlust weniger leiden. Vielleicht können sie eher als die meisten Erwachsenen Dinge gleichzeitig nebeneinander stehen lassen. Es gibt das Spiel mit anderen Kindern oder auch andere Erlebensräume, und es gibt die Traurigkeit über den Verlust eines geliebten Menschen. Kinder nehmen die Welt so wie sie sich ihnen zeigt. Dabei sind sie ebenso individuell unterschiedlich, wie Erwachsene.
Cally führt Gespräche mit ihrer verstorbenen Mutter. Manche würden sagen: Sie flüchtet in eine Phantasiewelt. Lässt sich die Erfahrung des Verlustes mit solchen Phantasien mildern?
Es gibt sicher viele Wege, mit dem Verlust eines geliebten Menschen umzugehen. Für Cally ist es keine Phantasie sondern es ist ihre Realität. Sie flüchtet nicht sondern sie stellt sich dem, was sie beschäftigt und das ist ihre Mutter. Egal, ob sie die Mutter sieht oder nicht, diese ist präsent. Manchmal vielleicht sogar mehr, als sie es zu Lebzeiten war, einfach, weil sie nicht mehr da ist und einen leeren Platz im Leben ihrer Liebsten hinterlässt. Mit dem Kontakt, den Cally mit ihrer Mutter erlebt – man könnte auch sagen, den sie zulässt – schafft sie sich einen Raum, in dem die Mutter lebendig sein darf. Sie tut dies innerlich in der Zwiesprache mit der Mutter und äußerlich indem sie sich einen geheimen Ort schafft, wo sie Fotos an die Wand pinnt, auf denen die Mutter zu sehen ist, und Gegenstände aufbewahrt, die zum Familienleben gehörten, als die Mutter noch lebte. Auf diese Weise lebt sie in ihrer eigenen Welt und wehrt sich gegen den Vater, der seine Trauer nicht erträgt und die Mutter totschweigt. Cally trauert im Gegensatz zu ihm. Sie tut es so, wie es für sie gut ist. Und sie zerbricht nicht.
Die meisten Kinder, die das Hörspiel hören werden, haben vermutlich keine konkrete Todeserfahrung gemacht. Meinst Du, dass Kinder sich auf das Geschehen im Hörspiel einlassen werden?
Ich bin mir sicher. Kinder beschäftigen sich mit den grundsätzlichen Fragen des Lebens. Nicht nur, wenn sie mit Tod und Verlust im eigenen Leben konfrontiert werden sondern einfach im Laufe ihrer Entwicklung. Es gehört für sie dazu, es ist Teil des Prozesses, das Leben kennenzulernen, sich selbst und die Welt zu verstehen.
Ich kannte ein kleines, drejähriges Mädchen, deren Mutter wir gemeinsam im Krankenhaus besuchten. Auf dem Weg dorthin fing sie an davon zu sprechen, dass alle Menschen sterben. Dann sind die Häuser noch da, aber wir nicht mehr, sagte sie. Autos fahren noch, es gibt Sommer und Winter. Es war deutlich, dass sie nicht zum ersten Mal darüber nachdachte. Ich konnte ihr die Angst um ihre Mama nicht nehmen, die möglicherweise der Auslöser dafür war, dass sie das Thema angesprochen hatte, aber wir unterhielten uns auf Augenhöhe und ich spürte, das war gut so. Nicht nur für sie, würde ich im Nachhinein sagen, auch für mich. Einfach, weil es gut tut, diesem Thema nicht aus dem Weg zu gehen, wenn es besprochen werden will.
Die Beschreibung des Hörspiels klingt so, als sei es sehr eindringlich. Gibt es auch Stellen, über die man lachen kann?
Ja, die gibt es. Die Leichtigkeit des Hörspiels liegt jedoch nicht hauptsächlich darin, dass man viel lacht. Sie liegt in der Selbstverständlichkeit, in der Cally sie selbst ist und bleibt. Sie ist traurig, weil ihre Mama nicht mehr lebt und ihre Trauer gehört zu ihr. Aber sie ist noch viel mehr, eben alles, was sonst noch zu ihr gehört. Sie ist neugierig, sauer, aufgeregt, nervig, abenteuerlustig, neugierig, kann sehr gut beobachten, ist sensibel, singt gerne und vieles mehr. Vor allem aber ist sie Eines: lebendig. Und sie weiß, was sie will.
Welches Buch würdest Du einem Kind empfehlen, das einen lieben Menschen verloren hat?
Ein Geschenk aus dem Himmel ist ein Buch, das ich empfehlen kann. Aber es ist nicht unbedingt für jedes Kind das Richtige. Ich glaube, es ist nicht so einfach, Empfehlungen auszusprechen. Es kommt auf das Kind an. Wichtig ist glaube ich, mit dem Kind im Kontakt zu sein, ihm den Raum zu geben, in dem es ausdrücken kann, was es ausdrücken will. Im Kontakt findet man vielleicht auch am ehesten heraus, was für das jeweilige Kind gut ist. Braucht es ein Buch? Braucht es Musik? Braucht es Bewegung? Braucht es Spiele? Ich habe auch schon mal eine Geschichte geschrieben für ein Kind. Das Kind fand die Geschichte schön, und mir hat es etwas gegeben, sie zu schreiben.
Hast Du selbst – so wie Cally – schon mal mit einem/r Verstorbenen gesprochen?
Nein, nicht in dieser Art und Weise. Aber ich kann mir vorstellen, dass Cally ihre Mutter sieht und mit ihr sprechen kann. Jede gelebte Nähe mit einem anderen Menschen prägt und hinterlässt Spuren und jeder geht auf seine Weise mit dem Verlust eines geliebten Menschen um. Wenn es in Callys Realität so ist, dass sie ihre Mutter sieht und die innere Verbindung so stark ist, dass sie mit ihr sprechen kann, dann ist das etwas, das ich ihr von Herzen gönne. Eine Freundin erzählte mir vor einigen Jahren, ein verstorbener Freund käme sie regelmäßig besuchen. Ich fand das ganz normal und habe es nie hinterfragt. Warum auch?
Was denkst Du, was wird mit Dir geschehen nach Deinem eigenen Tod?
Ich bin noch dabei herauszufinden, was genau ich darüber denke.
Was ist Dein Lieblingsbuch, – Gedicht, – Bild oder Musikstück zum Thema Sterben und Tod?
Wie Großvater ein Wikinger wurde – von Ally Kennen (als Hörbuch gelesen von Katharina Thalbach)
Die besten Beerdigungen der Welt (Bilderbuch von Ulf Nilsson/Autor und Eva Eriksson/Illustration)
Und natürlich:
Gedichte:
Ein Schnurps grübelt (von Michael Ende)
Mondnacht (von Josef von Eichendorff)
Liebe Maria, ich danke Dir für das Gespräch.
Das Hörspiel wird gerade produziert bis Anfang Dezember.
Gesendet wird auf WDR 5, Sendung „Kiraka – Dein Kinderradiokanal“:
Teil 1
Samstag, 10.12.2016 ab 20:05 Uhr (kann eine Woche ab Sendedatum noch als Podcast gehört bzw. heruntergeladen werden)
Sonntag, 11.12.2016 ab 14:05 (Wdh.)
Teil 2
Samstag, 17.12.2016 ab 20:05 Uhr (kann eine Woche ab Sendedatum noch als Podcast gehört bzw. heruntergeladen werden)
Sonntag, 18.12.2016 ab 14:05 Uhr (Wdh.)
Podcasts können hier heruntergeladen werden:
http://www1.wdr.de/mediathek/audio/kiraka/kiraka-kinderhoerspiel/
Manche Hörspiele stehen auch länger als eine Woche als Podcast im Netz.
Mehr Infos zum Kinderradiokanal gibt es hier:
Dort kann man das Programm auch streamen.
https://de.wikipedia.org/wiki/KiRaKa
Das Buch „Ein Geschenk aus dem Himmel“ ist in der deutschen Fassung im Verlag „Planet!“ des Thienemann-Esslinger Verlages erschienen. ISBN: 978-3-522-65184-4
Als Taschenbuch ist es auch bei Carlsen erschienen. ISBN 978-3-55131336-2 www.carlsen.de
Mondnacht
Gedicht von Joseph von Eichendorff
Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
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