Auch der Tod ist ein Prozess – kein Ereignis
Über Elkes Leben und Sterben - ein Gespräch mit Elke kurz vor ihrem Tod
Unsere Autorin Lisa Freund lernte Elke als Sterbebegleiterin kennen. Im folgenden Text stellt sie zunächst das Leben von Elke vor. Im zweiten Teil lesen Sie ein Gespräch zwischen Lisa und Elke, das kurz vor Elkes Tod stattfand. Elke starb im Alter von 28 Jahren an ihrer Brustkrebserkrankung. Sie hat sich auf ihren Tod vorbereitet und sie konnte – gerade deshalb – sehr herausfordernd sein.
Einblicke in Elkes Leben
Als Elke 23 Jahre alt war, wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Durch den Krebs ist sie auf den spirituellen Weg gekommen. Sie fand einen buddhistischen Lehrer aus der tibetischen Tradition, dem sie sehr verbunden und der ihr am Lebensende eine große Stütze war.
Zwischen Köln und Bonn, in einem relativ kleinen Ort, „…so ein kleiner Vorort, so richtig dorfmäßig“ hat sie ab dem zweiten Lebensjahr ihre Kindheit und Jugend verbracht. Auf meine Frage: „Würdest Du, wenn Du jetzt zurückblickst auf Deine Kindheit und Jugend sagen, sie war schön?“, antwortete Elke: „Alles, es war alles, es war total gemischt – also wie so ein ganz buntes Blatt mit ganz vielen Facetten.“
Elke hat sich schon als Kind entschieden, Ärztin zu werden: „Ich fand das auch immer superspannend und total interessant, wie der Mensch funktioniert. Durch mein Wissen, anderen Leuten dienen zu können und denen halt zu sagen: Mach das oder lass lieber das und dann wird`s hoffentlich besser so. Das fand ich eigentlich immer das Entscheidende.“ Sie begann in Bonn Medizin zu studieren. Aufgrund ihrer Erkrankung schaffte sie ihr Medizin-Studium nur bis zur Hälfte.
Einladung zum letzten Abschied vor dem Tod
Etwa drei Wochen vor ihrem Tod diktierte Elke Ihrer Freundin einen Text für einen Brief, in dem sie Freunde, Bekannte und Verwandten zu einem letzten Besuch einlud. Sie schrieb darin, dass sie bald sterben werde. Sie habe nur noch wenig Kraft. Eine Person am Tag könne sie in ihrer Wohnung treffen. Es gehe ihr darum, voneinander Abschied zu nehmen. Wer dies tun wolle, solle anrufen und einen Termin vereinbaren. Der Brief wurde auch an ihre Mutter geschickt. Die letzten Lebenstage wollte sie in der Begleitung ihrer allernächsten Freunde verbringen. Ihre Mutter war darüber sehr verzweifelt. Elke war das zweite Kind, das sie verlor.
Es kamen einige Menschen, die zum Teil aus ganz Deutschland nach Berlin reisten oder mit dem Flugzeug aus Spanien und den USA zu ihr flogen. Fast jeder fürchtete sich vor der Endgültigkeit der letzten Begegnung, einige waren empört über diesen Brief. Die, die kamen, waren mutig und traurig, mit dem Herzen dabei. Sie verließen Elkes Zimmer sehr berührt. Elkes BegleiterInnen betreuten in dieser Zeit auch die Besucher.
Elke wuchs in diesen Begegnungen, die auch viel Kraft forderten, über sich hinaus. Sie klärte Beziehungen und löste Knoten, die im Leben entstanden waren, badete ein wenig in der Zuwendung und Liebe, die ihr zuteil wurde. „Das ist Balsam für mich, mein Herz, meine Seele,“ meinte sie. Als die letzte Bekannte gegangen war, fühlte sie sich zufrieden und beglückt. Sie hatte viel Ballast abgeworfen, wirkte sehr klar und transparent.
Elke plant über den Tod hinaus
Kurz vor ihrem Tod ging es Elke um die Planung ihrer Beerdigung und der Trauerfeier. Sie hatte dabei ihre Angehörigen und Freunde ebenso im Auge wie ihre eigenen letzten Wünsche. Eine Feier kurz nach dem Tod mit Meditation und Gebeten wünschte sie sich im buddhistischen Zentrum in Berlin. Dorthin solle kommen, wer wolle. Sie schlug einen Ablauf und kleine Texte vor. Eine zweite Trauerfeier am Friedhof in ihrem Heimatort im Rheinland sollte für die Familie sein. Sie wollte eine Erdbestattung. Diese sollte in der katholischen Tradition stattfinden ebenso wie ihr Begräbnis. Sie wusste, dass das für ihre Mutter und zahlreiche Angehörige wichtig war. Ihre engsten Angehörigen wohnten beiden Feiern bei und waren von der Tiefe und der Würde der Abschiede beeindruckt. Sie taten ihnen gut. Elke wollte Versöhnung und sehnte sich nach einem unbelasteten, entspannten Übergang ihrer Seele in eine neue Dimension.
Elkes Tod
Sie starb im Hochsommer zuhause in großem Frieden, liebevoll umsorgt von ihren engsten Freunden. Elke wollte sitzend, mit geradem Rücken sterben, was ihr ein tibetischer Lehrer geraten hatte. Das Oberteil ihres Bettes wurde deshalb aufgerichtet, als der Tod kam. In der buddhistischen Tradition geht man davon aus, dass in einer Haltung mit aufrechtem Rücken der subtile Geist, die feinstoffliche Energie, leichter aus dem Körper austreten kann. Diese wandert entlang der Wirbelsäule nach oben, hin zum Scheitelpunkt, von wo aus sie aus dem Körper entweicht, und zwar durch die Fontanelle. Bei gekrümmter Wirbelsäule ist dies nicht so einfach.
Meditative Begleitung webt einen Teppich
Nach dem Tod wollte Elke drei Tage in ihrem Bett möglichst unberührt liegen bleiben. Da sie an einem heißen Sommertag starb, kühlten wir den Raum, legten unter ihren Körper Eispads. Als erstes wurde ihr buddhistischer Lehrer von Elkes Tod informiert. Er und die spirituelle Gemeinschaft beteten und vollzogen Meditationen in der Tradition des tibetischen Totenbuchs, so wie es Elke sich gewünscht hatte. Klöster in Indien und Sikkim beteiligten sich an den Zeremonien für sie. So wurde ein feinstofflicher Teppich gewebt, der ihren Geist auf der Reise aus dem Körper tragen sollte. Hierzu trugen auch die nächsten Freunde bei, die an ihrem Bett beteten, meditierten und Mantras rezitierten.
Letzter Transport
Ihr Leichnam wurde nach drei Tagen abgeholt. Als die Bestatter kamen, entschieden wir, ihren Körper gemeinsam auf die Bahre zu legen: Ein letztes Abschiednehmen in der Gewissheit, dass ihr Geist gut begleitet auf der Reise ist. Die Abendsonne lag wie ein Feuerball über dem Asphalt, als die Bahre in den Leichenwagen geschoben wurde.
Gespräch mit Elke kurz vor ihrem Tod
Elke erlaubte mir unsere Gespräche kurz vor ihrem Tod aufzuzeichnen. Das, was Sie hier lesen dürfen, ist ein kleiner Auszug daraus.
Wie hast Du von Deinem Krebs erfahren?
Also, ich hab das selber getastet in beiden Brüsten so ganz kleine Knoten. Aber das war dann nichts. Das waren Zysten oder so. Ich ging zur Untersuchung. Dann haben sie einen Zufallsbefund gehabt. Ja, sie haben mir Gewebe raus genommen. Das tat weh. Und dann haben sie es entdeckt.
Wie alt warst du, als du es entdeckt hast?
Da war ich gerade 23. Jetzt bin ich 28.
Kannst du dich noch an die Situation erinnern, als dir gesagt wurde, dass du Krebs hast und wie mit dir dabei umgegangen wurde?
Man hat mir das gar nicht gesagt. Es war eine ganz merkwürdige Situation. Ich war in der Klinik. Das war nach der ersten Operation. Eine Woche später haben sie die endgültigen Ergebnisse da gehabt von der Pathologie (von dem Gewebstück). Dann haben die mich in das Arztzimmer gebeten. Ich saß da. Es lag meine Akte auf dem Schreibtisch. Der Arzt hatte noch was anderes zu tun. Ich hab eine halbe Stunde da gesessen und neugierig, wie ich war, hab ich meine Blutwerte nachgeguckt. Ich hab auf der Station selber schon gearbeitet. Ich hab‘ nachgeschaut. Es war alles in Ordnung. Dann hab ich zehn Minuten später gedacht: Komm, jetzt guckst du mal in den Patho-Befund. Darin war dick unterstrichen: ein winziges, 0,5 cm großes intraductales Mamakarzinom. Ich lese es und denke nach … schluck. Jetzt saß ich da. Was intraductal war, wusste ich nicht, aber Mamakarzinom, das wusste ich schon. Das war natürlich ein Schock. Ich bin aufgestanden, hab mich irgendwie ans Fenster gestellt, hab rausgestarrt. Es verschwand die ganze Zukunft vor meinen Augen und ich hab gedacht, alles löst sich auf, alles geht den Bach runter, für immer und total. Der Arzt kam irgendwann rein. Er hat sofort gesehen, dass ich es schon wusste.
Wie ist er mit dir umgegangen? Was hat er gesagt?
Er hat halt gesagt: „ Ich hätte Ihnen das lieber selber gesagt. Naja, jetzt wissen Sie’s schon.“ Dann hat er gesagt: „Das ist das am wenigsten schlimme Karzinom …“ Er hat versucht, mir alles medizinisch zu erklären. Ja, das war schon deprimierend.
Kannst du dich noch erinnern, wie es war, als du aus dem Behandlungszimmer gegangen bist, und was du dann gemacht hast?
Das weiß ich gar nicht mehr. Ich bin zu irgendwem gegangen, weiß aber nicht mehr genau, wie das war, und dem hab ich das erzählt. Aber das Eindrücklichste war halt diese Situation … das glaub ich nicht … ! Die haben vorher gesagt, nee, da ist nichts. Ich war auch total gut drauf. Das … hat jetzt angefangen und jetzt stürzt du dich ins Studium, ein bisschen konsequenter als bisher. Naja … die haben versucht, alles zu beschwichtigen, was auch okay ist. Es bringt ja nichts, da ’ne Panik zu machen. Trotzdem war das irgendwie dumm. Man hätte das Ganze, finde ich, ernster nehmen können.
Kam dann die nächste Operation? Wie hast du dich gefühlt?
In dem Gewebestück ,was die mir rausgenommen hatten, war das Stück, wo der Krebs ist, ziemlich am Rand. Sie haben gesagt: „Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass wir nicht aus Versehen ein Stück stehen gelassen haben. Wir müssen noch mal ran. Und wenn wir schon mal dabei sind, nehmen wir die Lymphknoten unterm Arm mit raus.“ Zwei Tage später war die nächste OP. Das war so extrem: nochmal unters Messer und so. Die machen halt auch Druck. Das war nicht nötig.
Mit 23 hat man nicht Bock, sich mit dem Tod auseinander zu setzen. Man hat da zwar irgendwas. Man denkt so: Raus ist raus. Das haben die mir auch vermittelt und das hab ich auch gerne gefressen. Ich hab gedacht: Ja, wunderbar… und mich nicht mehr um den Krebs gekümmert. Wollte einfach nicht dran denken.
Wie ging’s weiter?
Also erst mal wurde nur rausoperiert und dann fünf Monate später nochmal rausoperiert …. Untersuchungen … selbe Stelle, selbe Geschichte und dann kam schon die Chemotherapie, und dann war ich halt drin in dieser Schulmedizin. Als Medizinstudentin hatte ich gar kein Vertrauen zu was anderem, also zu irgendwelchen anderen Methoden. Deswegen hab ich die ganze Schulmedizin gemacht. Das war schon hart. Es ist klar: Man macht das, man macht das, man macht das … Ich hatte immer das Gefühl: Das muss raus! Das hat mit mir nichts zu tun, mehr oder weniger. Macht doch mal. Es wird schon gut.
Hattest du Vertrauen in deine Behandlung?
Eigentlich schon. Deswegen würde ich auch rückblickend sagen: Es war das Richtige, weil … an was anderes hab´ ich halt nicht geglaubt. Oder: was anderes kam gar nicht so richtig in Frage.
Wie bist Du denn auf den spirituellen Weg gekommen?
Ja, durch den Krebs, ganz klar. Ich bin nach Thailand gefahren, hab auf den Ozean geschaut, mich erholt und dann fiel mir ein Büchlein über Buddhismus in die Hand. Es war mehr Zufall, dass ich zu einem tibetisch-buddhistischen Lehrer gekommen bin. Ich hatte Fragen etwa: Warum habe ich diesen Krebs? Was soll das eigentlich alles? Wieso denn ich und wieso so früh und wieso überhaupt das alles? Und ich war auf der Suche nach einer Antwort, also generell, nicht nach einer partiellen Antwort, wollte wissen, wo gehöre ich hin auf dieser Erde? Was ist eigentlich meine Aufgabe? Wie kann ich verstehen, dass ich so leiden muss?
Ich habe totale Angst gehabt am Anfang. Sie war echt supermassiv. Ich hab ganz viel rumgeheult und konnte mich auch niemandem mitteilen. Das war mein Problem. Ich konnte das halt keinem sagen. Ich hatte eine Sehnsucht und die, die musste unbedingt gestillt werden. Das hat sich dann so diese Bahn gesucht.
Kannst du dich noch an einen Satz erinnern oder Weisheiten erinnern, die dich besonders beeindruckt haben?
Ich höre manchmal Audios … Da spricht mein buddhistischer Lehrer über die Angst vorm Tod. Und er sagt so ganz einfach: „Don’t you … my Dear“? Also dieses „my Dear“ , das hat ganz feine Sachen in mir berührt. Das ist es, was ich meine, mit sich selber ein bisschen achtsamer sein. Ja, ich war eher so die Coole: Das wird schon alles werden. Es ging drum, das alles ein bisschen abzulegen und ein mehr zum Herzen zu kommen.
Ging es dir dann besser?
Später… Erst war der Schmerz in mir. Ich hab gesehen, wie zu ich bin und, wie lang ich mich vor mir selber versteckt habe, wie ich wegegerannt bin vor mir. Ja, es ging darum, diese weiche Seite von mir zu sehen. Ich meine, meine Mutter war nicht emotional genug. Sie hat mir das schwer vermitteln können. Das ist so die Seite, die mir einfach gefehlt hat.
Gibt es etwas Spirituelles, das dir gerade besonders gut tut?
Ich kann mich einfach gar nicht so konzentrieren auf spezielle Visualisierungen oder Meditationen. Im Moment bete ich einfach. Das ist auch gut so. Heute Nacht, ich hab halb gedöst, halb geschlafen, da hab ich gebetet, einfach so. Ich hab das Bild: Sterben ist wie in die Arme genommen werden von allen Seiten von überall her. Irgendwie komme ich wieder an meinen Kinderglauben ran. Und das ist auch toll, dass sich das so vermischt. Ich hätte auch nie gedacht – dass ein Buddha einfach da ist. Es ist nicht viel anders als das, was man Gott nennen könnte. Am Anfang hatte ich sehr polarisiert, weil ich mit Christentum nichts mehr zu tun haben wollte. Ich wurde in einer katholischen Schule von Nonnen erzogen. Die waren oft grausam. Ich habe sie gehasst. Das habe ich auf den Glauben übertragen.
Verbindest du heute deinen buddhistischen Weg mit deinen christlichen Wurzeln?
Ja, und das finde ich ziemlich beruhigend.
Sprichst du manchmal ein Gebet aus deiner Kinderzeit?
Kein Gebet, es ist einfach nur so ein Gefühl: Bitte nimm mich in den Arm! Das ist einzige was hilft, also diese Bitte und auch das Wissen, dass es so ist, dass es so sein soll.
Hast du eine konkrete Vorstellung von einer Gestalt, die dich in den Arm nimmt?
Es ist irgendwas um mich herum, irgendwas Abstraktes oder … eigentlich kein Bild. Es ist ein Gefühl und es tut so gut. Ich bin geborgen. Es wird mir helfen beim Sterben.
Copyright Foto: Michael Ziegert
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Ich sitze am PC und mache gerade eine gedankliche Pause, denn ich bin am zurechtstellen der Trauerrede für eine Vereinsfreundin. Sie ist diese Woche an Ihrem rasanten Hirntumor verstorben. Sie hat über 15 Jahre in derTrauer gruppe unseres Verein´s anderen über den Tod Ihrer Lieben hinweggeholfen und Sie begleidet. So kam ich auf Deinen Bericht. Ich finde es sehr gut und schön dass Du dies machen durftes, er hat auch etwas tröstliches an sich.