Da sein und die Botschaft des Moments aufnehmen

Interview mit Miriam Pokora, Koordinatorin des ambulanten Hospizes von Bodhicharya „Horizont“ in Berlin

Duftende Blumen überall, ein Hauch von Idylle. Miriam sitzt im Hospizbüro in einer Stadtoase. Es ist das buddhistische Zentrum von Bodhicharya in Berlin mitten im Kiez in Friedrichshain. Dort gibt es einen Tempel, der noch nicht fertig gestellt ist, ein Wohnhaus, Büroräume in einer Remise, einen buddhistischen Buchladen und zwei Meditationsräume, eine Stupa, einen kleinen Garten, eine Kinderecke mit Sandkasten… Das Ganze befindet sich in liebevoll renovierten, meist Backsteingebäuden.. Hier treffen sich die ehrenamtlichen BegleiterInnen des ambulanten Hospizes. Michaela Draeger und Miriam Pokora sind junge, aktive Buddhistinnen, die mit Leib und Seele im Hospiz tätig sind. Dieses Jahr ist Kurt Rödel hinzu gekommen. Das ambulante Hospiz Horizont hat einen buddhistischen Verein im Hintergrund. Es gibt nicht viele buddhistische Hospize in Deutschland, gerade mal eine Handvoll. Miriam erzählt von ihrer Arbeit …

Liebe Miriam, du arbeitest als Koordinatorin in einem ambulanten buddhistischen Hospiz, in Berlin-Friedrichshain, dem Hospizdienst Horizont von Bodhicharya. Wie bist du zu dieser Arbeit gekommen?

Ich war damals aus eigenem Interesse selbst in der Ehrenamtsschulung des Hospizdienstes. Als meine jetzige Kollegin Michaela Draeger in Elternzeit ging und eine Vertretung gesucht wurde, hatte ich die Qualifikationen, die man benötigt, um von der Krankenkassenvereinigung als hauptamtliche Koordinatorin refinanziert zu werden. Und so fing ich 2007 dort an.
Es war ein Geschenk, meine Interessen beruflich vereinen zu können, denn ich hatte einige Jahre zuvor begonnen, mich mit der buddhistischen Philosophie zu beschäftigen und hilfreiche Erfahrungen mit der dazugehörigen Meditationspraxis gemacht.
Das Interesse an der Hospizarbeit regte sich bei mir schon in meinem ersten Ausbildungsjahr als Kinderkrankenschwester. 1996 war die Hospizbewegung in Deutschland zwar schon auf einem guten Weg, aber es gab nur vereinzelt stationäre oder ambulante Hospize. Es entstand häufig Hilflosigkeit innerhalb des medizinischen Krankenhauspersonals, wenn es darum ging, mit Menschen darüber zu sprechen, dass Heilung nicht mehr möglich und die Lebenszeit durch die Erkrankung stark begrenzt ist. Ich habe erfahren, wie leidvoll es war, wenn Eltern, Kinder oder schwer kranke Erwachsene nicht die Chance hatten, sich auf den kommenden Tod vorzubereiten. Ich hatte damals den Eindruck, dass niemand wusste, wie man das Thema „anpackt“, auch weil das Konzept von „Palliative Care“ in Deutschland noch nicht breitflächig Fuß gefasst hatte.
Ich wollte mich dieser Hilflosigkeit stellen und lernen, wie ich andere in diesem schweren Prozess zur Seite stehen kann. Heute weiß ich: Ich kann zwar nicht verhindern, dass dieser Mensch stirbt. Aber ich kann einen Unterschied machen, wie. Manchmal sogar einen sehr großen.

Erkläre unseren Usern kurz, was ein ambulantes Hospiz ist…

Studien belegen, dass sich die meisten Menschen wünschen, auch bei schwerer Krankheit in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben und ein selbstbestimmtes, angst- und schmerzfreies Leben – bis zuletzt – führen zu können. Als ambulanter Hospizdienst helfen wir, hierfür alles Notwendige zu organisieren und gehen dorthin, wo wir gebraucht werden. Das schließt sowohl das eigene zu Hause als auch Pflegeheime und Krankenhäuser mit ein. Grundlage für unsere ambulante Begleitung ist eine gute medizinische, pflegerische, spirituelle und psychosoziale Fürsorge, damit sich ein schwer kranker Mensch gut aufgehoben fühlen kann. Wir sind mit SAPV-ÄrztInnen, Pflegediensten, Beratungsstellen und anderen Hilfsangeboten gut vernetzt, organisieren ihre Dienstleitungen bei Bedarf und stehen als Ansprechpartner zur Verfügung. SAPV ist die Abkürzung für spezialisierte, ambulante, palliative Versorgung und gesetzlich verankert. Sie dient der Verbesserung der Versorgung am Lebensende im ambulanten Hospizbereich. Wikipedia erklärt: „Palliative Care (lat. cura palliativa von palliare „mit einem Mantel bedecken“; engl. care „Fürsorge, Versorgung, Betreuung, Aufmerksamkeit“) ist das international anerkannte Gesamtkonzept zur Beratung, Begleitung und Versorgung schwerkranker Menschen jeden Alters mit einer nicht mehr zu heilenden Grunderkrankung.“
Die Unterstützung durch Hospizdienste ist für die Ratsuchenden kostenfrei und richtet sich an Menschen, die lebensverkürzt erkrankt sind sowie an ältere, sterbende Menschen und Menschen mit Demenz am Lebensende. Es gibt auch Hospizdienste für schwer erkrankte Kinder. Der Hospizdienst Horizont kümmert sich um Erwachsene, aber auch um ihre Zugehörigen. So kann es sein, dass wir auch Kindern und Jugendlichen Angebote machen, wenn wir ihre Eltern begleiten.
Ein Hospizdienst ist so aufgebaut, dass es einige hauptamtliche, speziell ausgebildete Fachkräfte gibt, die meist aus der Pflege oder Sozialpädagogik kommen. Diese übernehmen bei Bedarf die palliative Beratung, Organisation und Koordination der Hilfsangebote. Dann gibt es die Ehrenamtlichen, die das Herzstück unserer Arbeit bilden.

Was tun die Ehrenamtlichen?

Ehrenamtliche HospizbegleiterInnen werden von uns in einer Schulung auf ihre Aufgabe vorbereitet. Sie haben sehr unterschiedliche Berufe und Biographien. Unser jüngster Ehrenamtlicher ist 21 Jahre alt und unsere Älteste fast 80.
Sie alle schenken Zeit und Aufmerksamkeit: Das kann die Teilnahme an einem Kaffeekränzchen sein, ein Spaziergang, einfaches Da-Sein, Gespräche, aber auch eine Sitzwache am Bett. Wir vermitteln eine feste Bezugsperson, die regelmäßig kommt und durch ihre Anwesenheit auch für die Angehörigen eine Entlastung ist. Angehörige können sich dann Zeit für ihre Bedürfnisse nehmen.
Ehrenamtliche stellen sich auf das ein, was gerade gebraucht wird. … Das ist unglaublich wertvoll. Kürzlich begleiteten wir einen Mann, der ständig von Krankenhaus zu Krankenhaus verlegt wurde. Immer wieder mussten wir ihn suchen, weil wir nicht darüber informiert wurden, wo sich Herr F. gerade befand. Die Ehrenamtliche hat entschieden, diesen Weg mitzugehen. Sie ist dafür durch ganz Berlin gereist. Für Herrn F. war das sehr unterstützend: Sein Umfeld änderte sich ständig. Die Ehrenamtliche aber war verlässlich und kam regelmäßig wieder.

Ehrenamtliche Hospizbegleiter sind im Hospizsetting relativ frei. Sie sind diejenigen, die nichts „müssen, müssen“. Denn alle, die sonst kommen, haben eine bestimmte, klar definierte Aufgabe. Der Arzt stimmt die Medikation ab und hat noch viele andere Verantwortlichkeiten. Die Pflegenden pflegen und müssen bald wieder zum nächsten Patienten. Natürlich geben auch die anderen Berufsgruppen, die im ambulanten Hospizbereich arbeiten, Zuwendung, bieten Gespräche an und vieles mehr. Die Ehrenamtlichen können sich jedoch erlauben, ganz und gar die Botschaft des Moments aufzunehmen, danach zu handeln und durch einfaches Da-Sein Entlastung schaffen.

Seit wann existiert das Hospiz Horizont?

Es gab seit 2003 eine erste Gründungsphase. Mit den ersten ambulanten, hospizlichen Begleitungen begannen wir 2006/2007.

Wie sieht deine Arbeit aus, beschreibe uns einige Tätigkeiten.

Ich bin einerseits viel in unserem Hospizbüro und koordiniere über das Telefon und den Computer unsere Hilfsangebote. Andererseits besuche ich regelmäßig unsere KlientInnen zu Hause oder in Senioreneinrichtungen. Ich führe dort erste Gespräche und bin mit Angehörigen, unseren Ehrenamtlichen und Pflegenden in einem regen Austausch. Wir Hauptamtlichen erledigen auch administrative Aufgaben und beraten über palliative Versorgung und klären über Patientenverfügungen und andere Fragen auf. Wir organisieren Begleitungen und dokumentieren diese, so wie es gesetzlich vorgeschrieben ist. Wir erstellen Abrechnungen, machen Fundraising und mehr. Wir bieten Schulungen und Fortbildungen für Ehrenamtliche, Pflegende und Angehörige an. Auf gesellschaftspolitischer Ebene engagieren wir uns im Hospiz- und Palliativverband Berlin. Hier setzen wir uns gemeinsam mit anderen Akteuren für die Verbesserung der Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen in Berlin und Deutschland ein.

Wie viele ehrenamtliche SterbebegleiterInnen koordiniert Ihr dort?

Im Durchschnitt koordinieren wir ca. 50 ehrenamtliche HospizbegleiterInnen. Es gibt allerdings immer einige, die in Pause sind, weil sie lange begleitet haben. Andere ziehen weg, erleben familiäre oder berufliche Umschwünge und können dieses Ehrenamt nicht weiterführen. Fast jedes Jahr schulen wir nach, um eine konstante Größe halten zu können.
Unsere nächste Schulung führen wir erst wieder 2019 durch. Wir gönnen uns 2018 eine Pause.

Wer bezahlt denn dein Gehalt? Wer finanziert die laufenden Kosten?

Die Hospizarbeit ist gesetzlich durch den Paragraphen 39a SGB V geregelt. Die Arbeit von ambulanten Hospizdiensten wird durch ein bestimmtes System zu ca. 90% durch die Krankenkassenvereinigung refinanziert.
Im den letzten Jahren wurden die Bedingungen für ambulante Hospizdienste stetig verbessert. Trotzdem sind wir auf Spenden angewiesen, denn etwa 10 % der Ausgaben sind nicht gedeckt. Bis vor kurzem mussten Hospizdienste etwa 25% der Kosten durch Spenden und Fundraising selbst beschaffen. Das war sehr anstrengend und ging letztlich von der Zeit ab, die wir eigentlich bedürftigen Menschen zur Verfügung stellen wollten.
Es wirkt sich auch trotz der starken Verbesserungen der letzten Jahre nachteilig aus, dass Hospizdienste große Teile der Ausgaben vorfinanzieren müssen. In Berlin fließen unsere Ausgaben von 2017, erst im Juni/Juli 2018 an uns zurück. Vielleicht wird hieran verständlich, wie schwierig es da ist, auch mal eine Gehaltsanpassung umzusetzen oder ein Diensthandy und einen Computer anzuschaffen. Der Betrag der refinanziert wird, ist außerdem „gedeckelt“, da ein Hospizdienst nur das an erstattungsfähigen Kosten zurückbekommt, was dieser auch ausgegeben hat.
Selbst wenn ich mehr Begleitungen gemacht habe, als für die Refinanzierung notwendig wären, bekomme ich nur meine Ausgaben zurück. Ich kann also keinen Gewinn erzielen, keinen Puffer bilden. Den stationären Hospizen ergeht es ähnlich. Auch sie werden nicht voll finanziert und sind auf Spenden angewiesen.

Ich stelle mir vor, ein Arzt oder ein Krankenhaus suchen nach einem ambulanten Hospiz, das einen Patienten in der letzten Lebensphase betreuen kann, z.B. in der Kinzigstraße, in der ihr euer Büro habt. Dieser Patient interessiert sich nicht für spirituelle Begleitung, braucht aber Unterstützung? Will heißen: Kümmert ihr euch um Menschen, auch unabhängig von ihrer spirituellen Orientierung, also auch um Menschen, die keine Buddhisten sind und Menschen, die Spiritualität ablehnen?

Ja, natürlich. Wie alle Hospizdienste stellen wir unsere Angebote auch Menschen anderer Glaubensrichtungen zur Verfügung und auch solchen, die keine speziellen spirituellen Ausrichtungen haben. Wir begleiten alle so, wie sie es brauchen. Wir klammern unser buddhistisches Angebot aus, wenn es nicht gewünscht wird. Es gibt viele Hospizdienste mit christlichen oder weltlichen Trägern. In dieser Hinsicht arbeiten wir alle gleich: Wir unterstützen und begleiten ganz nah an den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen.

Eure Ehrenamtlichen erhalten eine besondere buddhistische Zusatzausbildung. Wodurch unterscheidet sich eure Arbeit von der anderer Hospize?

Wir haben ein theoretisches und praktisches, buddhistisches Zusatzangebot in unsere Schulung integriert. Ehrenamtliche erlernen zusätzlich zu den herkömmlichen Inhalten, hilfreiche Meditationen zum Thema Mitgefühl und liebende Güte sowie die Kraftquellenmeditation ebenso Grundlagen des Qigong. Auf Wunsch können sie das in eine Begleitung mit einfließen lassen. Viele von ihnen nutzen die spirituellen Methoden als kraftspendende Stütze.

Muss man eine Buddhistin sein, um bei euch ehrenamtlich begleiten zu können?

Nein, das ist nicht notwendig. Wir achten darauf, dass wir Menschen in die Schulung aufnehmen, die offen für alle möglichen religiösen oder weltanschaulichen Strömungen sind; Menschen, die nicht das Bedürfnis haben, andere von ihrer eigenen Einstellung zu überzeugen. Menschen, die gut für sich selbst sorgen können, die bei sich sind und diese Tätigkeit nicht für die Aufwertung ihres Selbstbewusstseins brauchen, sondern solche, die emphatisch sein können und den Wunsch verspüren, anderen einen Teil ihrer Zeit zu schenken.

Das erfordert Mut. Denn durch diese Arbeit kommt man auch dem eigenen Tod, den eigenen Ängsten und Unsicherheiten sehr nahe und setzt sich damit auseinander. Es ist außerdem nicht einfach, sich immer wieder neu auf Menschen einzulassen, eine Beziehung und Vertrauen aufzubauen, in dem Wissen, dass der Andere bald sterben wird. Wir lassen unsere Ehrenamtlichen aber nicht damit allein. Als KoordinatorInnen begleiten wir deren Arbeit je nach Bedarf mit Gesprächen und Treffen, und stellen professionelle Supervision zur Verfügung. Die meisten Ehrenamtlichen äußern, dass sie es als Geschenk empfinden, diese Arbeit tun zu können, dass sie viel dabei lernen und die Begegnungen neben all der Schwere, oft mit Freude, dem Erleben von Verbundenheit und Leichtigkeit verknüpft sind. Es wird auch gelacht und vieles mehr.

Viele Menschen denken, ja das sind Buddhisten, da muss ich dann meditieren, wenn sie zu mir nach Hause kommen. Ist das nicht abschreckend?

Bei uns muss keiner meditieren. Für uns als Koordinationsteam ist es zunächst zentral, zu schauen, dass eine optimale medizinische und pflegerische Versorgung für den Kranken gewährleistet ist, damit sich der betroffene Mensch gut aufgehoben fühlen kann. Wir helfen Linderung zu schaffen, wo die Not am größten ist. Manchmal sind das körperliche Schmerzen, manchmal ist es die Sorge um die Kinder oder darum, dass noch vieles geregelt werden will. Aber natürlich gibt es auch den spirituellen Schmerz, der sich darauf beziehen kann, dass das Leben als vergeudet empfunden wird, ein Sinn in der Krankheit gefunden werden möchte oder letzte Wünsche erfüllt werden wollen.

Wenn wir das Gefühl haben, es könnte hilfreich sein, bieten wir auch Meditation oder Qi Gong an. Aber wir sind auch da, um gemeinsam ein Fußballspiel im Fernsehen anzuschauen oder über das Wetter zu sprechen. Es ist übrigens eine zutiefst buddhistische Grundhaltung, sich darin zu üben, nicht zu bewerten, was uns begegnet.

Ich persönlich arbeite daran, allen Lebensentwürfen und dem individuellen Umgang mit einer infausten Diagnose mit Respekt, Liebe und Fürsorge zu begegnen, damit ein Mensch seinen Weg so gehen kann, wie er es braucht, oder weil er nicht anders kann. Wir alle haben starke Gefühle, wenn etwas Schlimmes passiert. Wir werden wütend, hilflos, ziehen uns zurück oder gehen in den Wald, um zu schreien. Es gibt viele Möglichkeiten zu reagieren. Ich bin als Begleiterin nicht gescheitert, wenn sich ein schwerkranker Mensch nicht friedfertig ins Unvermeidliche fügen will. Und auch nicht, wenn Unzufriedenheit oder Ängste bleiben. Ich bin gescheitert, wenn mir jemand nicht mehr vertraut, weil ich versuche, ihm etwas überzustülpen, was ihm nicht entspricht. Ich bin nicht Super-Women, die alle Probleme lösen kann.

Die Herausforderung in dieser Arbeit besteht auch darin, zu akzeptieren, dass nicht immer zufriedenstellende Lösungen für alle Situationen gefunden werden können. Trauer und emotionaler Schmerz verweilen oft länger. Dann habe ich aber die Möglichkeit „Da-zu-Sein“ und mit „Auszuhalten“. Da-Sein und Aushalten sind Fähigkeiten, eine offene und annehmende Atmosphäre zu schaffen. Es heißt, geistesgegenwärtig zu sein und mit einer Haltung von Achtsamkeit, Präsenz und Mitgefühl Dinge geschehen lassen zu können. Vielleicht geht es ums Trösten und darum zu verstehen, dass das, was gerade passiert, schlimm für den anderen ist. Es ist wichtig, ein Gefühl für die Botschaft des Moments zu entwickeln und dem anderen die Möglichkeit zu geben, einfach „Sein“ zu dürfen und angenommen zu werden, mit dem was gerade ist.

Der spirituelle Leiter eures Zentrums heißt „Ringu Tulku“. Er ist der Leiter des gesamten Bodhicharya-Projektes in Berlin. Er steht zahlreichen Zentren im In- Und Ausland vor. „Ringu Tulku“ ist ein tibetischer Lehrer, der aus Sikkim kommt und englisch, aber nicht deutsch, spricht. Was trägt er zu eurer Arbeit bei?

Ringu Tulku Rinpoche hat das Projekt von Anfang an unterstützt und uns stets ermutigt, weiter zu machen, auch wenn es in der Vergangenheit aus finanziellen Gründen manchmal schwierig war, die Arbeit aufrecht zu erhalten. Er hat für unsere Arbeit geworben und betont, wie wertvoll sie ist. Hierdurch sind in Zeiten, in denen wir kurz vor der Schließung standen, großzügige Spenden oder Leihgaben geflossen, die uns immer wieder gerettet haben.
Außerdem können wir ihn jederzeit per Mail erreichen, wenn es Menschen gibt, die spezielle tibetisch-buddhistische Fragen haben oder spirituelle Unterstützung brauchen. Ringu Tulku Rinpoche bringt uns Vertrauen entgegen und äußert sich sehr wertschätzend zum Engagement der Ehren- und Hauptamtlichen. Er mischt sich nicht in unsere tägliche Arbeit ein, ist aber da, wenn wir ihn brauchen. Ein perfekter Chef, wenn man es so ausdrücken möchte.

Auch vom Vorstand von Bodhicharya Deutschland. e.V., der sehr engagiert und ehrenamtlich arbeitet, erhalten wir viel Unterstützung und Anerkennung. Ich empfinde es als großes Glück, in einer so umwerfenden Atmosphäre von gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung arbeiten zu dürfen. Das bezieht sich auch auf meine Kollegin und Mitstreiterin Michaela Draeger, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass dieser Hospizdienst zum Leben erweckt werden konnte. Unsere Zusammenarbeit ist fruchtbar und kraftspendend. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit, dass wir uns hier gemeinsam engagieren und uns gegenseitig ergänzen können.

Ihr habt euer Büro auf dem Gelände von Bodhicharya, einer buddhistischen Organisation. Dort finden ständig Veranstaltungen statt: Meditationen, Vorträge, Klausuren, kleine Kongresse und mehr. Gibt es nicht Berührungsängste von Hilfesuchenden, die das alles als fremd und exotisch empfinden?

Bisher wurde das von den Hilfesuchenden eher mit Neugierde wahrgenommen. Aber die wenigsten suchen uns hier vor Ort auf. Die meisten besuchen und beraten wir zu Hause, im Krankenhaus oder Pflegeheim.

Es gibt in Berlin etliche ambulante Hospize, in ganz Deutschland sind es um 1.500, die miteinander im palliativen Netzwerk zusammenarbeiten. Seid ihr in der Palliativbewegung etwas Besonderes? Wie geht das mit der Zusammenarbeit? Erzähle mir das an einem Beispiel

Die Kolleginnen und Kollegen sind für mich und uns sehr wichtig. Ich treffe mich zum Beispiel regelmäßig mit einigen Berlinern zu einer Intervision, in der wir schwierige Situationen besprechen, uns gegenseitig beraten und inspirieren. Wir können einander anrufen, wenn wir organisatorische, rechtliche oder medizinische Fragen haben. Jede/r KoordinatorIn hat speziellen Kernkompetenzen und Fähigkeiten, mit denen wir uns bereichern können. Auf Verbandsebene gibt es viele Arbeitsgruppen, die gemeinsam zu relevanten Themen wie Trauerangebote, Patientenverfügung oder ambulanter Begleitung arbeiten. Die Ergebnisse werden allen als Protokolle oder Handreichungen zur Verfügung gestellt.
In der Vergangenheit hatten wir schon einen exotischen Status. Einige andere Akteure im Feld von „Palliative Care“ dachten, dass wir nur Buddhisten begleiten oder ich habe auch schon Witze darüber gehört, dass wir uns wohl ans Bett setzen und Mantren singen würden. Nein, das tun wir nicht. Aber wir können es, sofern es gewünscht ist. Dadurch, dass wir Erfahrung mit Spiritualität und der buddhistischen Haltung mitbringen, werden wir öfter als Dozentinnen für die Ehrenamtsschulungen anderer Hospizdienste angefragt.

Du hast einen kleinen Sohn. Erzählst du ihm von deiner Arbeit? Wie steht er dazu?

Joshua ist jetzt sieben Jahre alt und hat ein natürliches, neugieriges Verhältnis zum Tod und zu meiner Arbeit. Er interessiert dafür, was es bedeutet zu sterben, tot zu sein. Es kommt ja auch in Märchen und Geschichten häufiger vor. Es gibt übrigens tolle Kinderbücher zu dem Thema. Wir sprechen darüber und ich antworte in einer altersgerechten Sprache und ehrlich.

Wann kann man sterben? Woran kann man sterben? Bin ich eigentlich gegen Krebs geimpft? Tut sterben weh? Liege ich dann in der Erde und kann nicht mehr raus? Wenn wir möchten, das Tod und Sterben in unserer Gesellschaft enttabuisiert werden, dann sollten wir die natürliche Neugierde von Kindern als Chance nutzen. Es ist auch für Erwachsene spannend und lehrreich, das Thema mit ihnen zu erforschen. Denn auf viele Fragen, gibt es keine in Stein gemeißelten Antworten. So bekommen wir das Geschenk, flexibel und unkonventionell nachdenken zu können. Kinder verstehen es auch, wenn man dabei traurig wird oder etwas nicht weiß. Für sie ist es viel schlimmer, wenn sie sich ihre eigenen kleinen Horrorvorstellungen zusammenfügen oder als Angehörige von schwer erkrankten Eltern eine bedrückende Stimmung wahrnehmen und bei sich selbst die Schuld dafür suchen. Ich erlebe es in unserer Arbeit als sehr entlastend für Kinder, wenn man sie mit einbezieht und sie in ihren Sorgen und Nöten ernst nimmt.

Joshua fragt auch öfter, wie alt wohl seine geliebten Großeltern werden. Wir sprechen dann darüber, dass sie uns sehr fehlen würden und wir sehr traurig wären, würden sie sterben. Ich verschweige nicht, dass es passieren kann, dass jemand stirbt, den wir lieben. Und ich erzähle gleichzeitig, wie gut es tut, wenn man sich dann gegenseitig hat und trösten kann.

Ich denke, indem wir den Tod und all die Gefühle und Ängste die damit verbunden sind, nicht tabuisieren, stärkt dies das Vertrauen der Kinder ins Leben. Weil sie wissen, dass Sie mit ihren Fragen und Nöten nicht alleine sind, weil sie dadurch verstehen, dass das Leben kostbar ist und all die wichtigen Bezugspersonen unterstützend sind. Sie entwickeln ein Bewusstsein für Liebe, Vertrauen, Schmerz und Trost.

Gibt es etwas – einen Satz, eine Idee, einen Hinweis – etwas, das du unseren LeserInnen mit auf den Weg geben möchtest?

Sterben ist auch Leben – Leben bis zuletzt. Das ist ein zentrales Motto der Hospizbewegung und beinhaltet für viele Menschen einen wichtigen Reifungs- und Entwicklungsprozess. Es gibt in der Begleitung Momente, die schwer sind, aber mindestens ebenso viele, die geprägt sind von Alltag, Leichtigkeit, Glück und Humor. Ich habe durch Erfahrung gelernt, dass Menschen, die den Mut haben, in das eigene Sterben und die eigene Vergänglichkeit hineinzuschauen, die Fähigkeit entwickeln, für andere hilfreich zu sein. Wir wollen nicht krank werden, nicht alt werden, nicht leiden und nicht sterben. Die schlechte Nachricht ist, dass es trotzdem passieren wird. Die gute Nachricht ist, dass wir nicht alleine sind mit diesem Erleben. Es gibt viele Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Für Betroffene gibt es zahlreiche Unterstützungsangebote. Ich möchte dazu ermutigen, sich Entlastung zu holen, sich zu erlauben, schwach und hilfsbedürftig zu sein und darauf Vertrauen zu können, dass es Menschen gibt, die dann da sind: mit Fachwissen, Empathie und Kraft.

Hast du ein Lieblingsbuch, einen Film, ein Musikstück oder etwas Anderes, was du empfehlen möchtest?

Falls sich jemand für eine Literaturliste zum Thema Tod und Sterben und Buddhismus interessiert, kann diese gerne im Hospizdienst angefragt werden. Ich persönlich möchte hier einige Titel nennen, die ich als besonders inspirierend oder hilfreich empfinde:

Dzongszar Jamyang Khyentse: „Weshalb Sie (k)ein Buddhist sind“
Yongey Mingyur Rinpoche: „Buddha und die Wissenschaft vom Glück“
Yesche U. Regel: „Tonglen-Praxis: Mitgefühl aussenden und Leid annehmen“
Lisa Freund: „Das Unverwundbare“ und „Geborgen im Grenzenlosen“
Spielfilm: „Antonias Welt“ Regie: Marleen Gorris
Ein Roman: „Die Grasharfe“ von Truman Capote

Liebe Miriam, wir danken dir für dieses Gespräch.

Lisa Freund
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