Corona und die Patientenverfügung bei Covid 19 – Nachdenken über ein gutes Ende

Interview mit Ursula Grether, Ärztin und Autorin

Du gehörst grad zur Corona-Risiko-Gruppe, hast eine größere OP hinter dir und bist an Parkinson erkrankt. Du bist Ärztin und mittlerweile eine erfahrene Patientin. Das Wohl von Sterbenskranken liegt dir am Herzen. Wir haben mal zusammen einen Hospizverein gegründet, einen buddhistischen. Das war 2004. Die Not von Sterbenskranken in Zeiten von Corona ist groß. Dazu habe ich einige Fragen an dich.

Was sind für dich die wichtigsten Errungenschaften der Hospizbewegung?

Die Hospizbewegung entstand in den späten 1960er Jahren. Einige Querdenker holten Sterben und Tod aus der Tabuecke und die Sterbenden aus ihrer Vereinzelung und Vereinsamung heraus. Es wurde ein Ort kreiert, der anders taktet als die normalen Kliniken, an dem nicht nur Ärzte ihre auf den Körper bezogenen Therapien durchführen, sondern auch die geistigen, psychischen, sozialen und spirituellen Wünsche der Patienten gemeinsam mit ihnen und ihren Angehörigen besprochen und so weit wie möglich erfüllt werden. Die Hospizbewegung wollte dem Leben nicht mehr Jahre geben, sondern den Jahren mehr Leben, mehr Qualität. Und sie gab dem Menschen seine Würde bis zuletzt zurück. Jeder darf so einzigartig sein wie er ist, muss sich nicht einem Schema anpassen.

Was braucht ein Mensch, der im Sterben liegt?

Eine Sterbende sollte sich um das kümmern können, was ihr persönlich wichtig ist und nicht primär das Wohl ihrer Angehörigen bedenken oder sich in den Ablauf auf einer Krankenstation integrieren müssen. Ein angenehmer Rahmen und eine liebevolle Versorgung und Betreuung sollten gesichert sein. Sterbende können heute möglichst lange bei Bewusstsein sein und so wenig Schmerzen wie möglich haben.

Welche Auswirkungen hat Corona auf den Umgang mit dem Sterben?

Corona ist neu, unbekannt, gefährlich und verunsichert uns maximal. Viele überleben das Virus nicht. Die Nachrichten über Erkrankungszahlen und Todesfälle klingen wie Kriegsberichterstattung. Da springt zunächst reflektorisch unser primitives Angst-Gehirn an, das schnell Panik anzettelt, das aber immerhin unser Überleben bis heute gesichert hat. Normalerweise wird es von dem klugen, in seiner Entwicklungsstufe höherstehenden Vernunft-Gehirn in Schach gehalten.

Angst verengt unseren Blick, will das Virus bekämpfen. Jede Maßnahme, die das sichern kann, ist willkommen. Es ist die Zeit der somatischen Medizin, der Virologen, der Tests, der Forschungszentren, der Politiker und der Polizei. Eine Ansteckung muss verhindert und ein bereits kranker Körper soll so schnell wie möglich isoliert und optimal behandelt werden.

Im Fokus steht das Leben. Sterben wird als Feind betrachtet. Über seine Qualität nachzudenken, kommt nicht so schnell in den Sinn. Darüber zu reflektieren, diese Chance bietet das Vernunft-Gehirn. Es weiß um die große Bedeutung eines friedlichen Sterbens, eines guten Abschiednehmens und Trauerns. Und es weiß, der Umgang mit unseren Schwerstkranken und Sterbenden ist ein Gradmesser für unsere Solidarität und Menschlichkeit.

Welche Unterstützung bietet die Palliativmedizin bei Corona?

Die Palliativmedizin, ein anerkannter wissenschaftlicher Zweig der Schulmedizin und gleichzeitig den Hospiz- Idealen verpflichtet, hat Erfahrung mit Sterbenden und weiß, wie man dem Leben am Ende mehr Qualität geben kann. Corona hat es geschafft, dass sich Palliativmediziner endlich selbstbewusst zu Wort melden und der Intensivmedizin ihre eigenen, bewährten und wohltuenden Schemata zum Beispiel der Schmerzkontrolle vorstellen. Opioide etwa reduzieren Angst und Schmerzen – auch bei wachen Patienten. Sie können „das gute Ende“, das wir uns alle wünschen, sichern. Ihr Sucht erzeugendes Potential steht in dieser Lebensphase nicht mehr im Vordergrund.

Seit kurzem sind im Internet Erfahrungen und Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zu diesen Themen frei zugänglich. Es werden viele Fragen sowohl von Laien als auch von Ärzten beantwortet, beispielsweise wann eine Corona-Patientin stationär aufgenommen werden sollte, ab wann und wie sie beatmet wird und warum. Es wird erklärt, welche Folgen und Erfolge unterschiedliche Formen von Beatmung haben. Erläutert wird, wie die Hausärztin die Patientin aufklären und dabei unterstützen kann, ihren Patientenwillen aufzuschreiben. Es geht darum, wie der Wille der Patientin, wenn sie selbst vielleicht nicht mehr bei Bewusstsein ist, umgesetzt werden kann.

Keine noch so betagte Patientin sollte gezwungen werden, zugunsten eines jüngeren auf einen Beatmungsplatz zu verzichten. Andererseits sollte eine Maximalbehandlung nach einer stationären Aufnahme in einem Krankenhaus nur erfolgen, wenn die Patientin dies ausdrücklich wünscht. Ihren Willen sollte sie vorher formulieren. Dazu muss sie informiert sein. Die Grundlage ist Aufklärung.

Als Besonderheit bei Corona ist zu bedenken: Eine vorgeschädigte Lunge plus COVID 19 plus ein hoher Beatmungsdruck können das Lungengewebe so stark schädigen, dass eine Erholung und damit ein waches, selbständiges Weiterleben nicht mehr möglich ist. Tritt dieser Fall ein, muss eventuell entschieden werden, wann die Beatmung abgeschaltet wird und wie, das heißt unter welchen Umständen das geschehen soll.

Zur Entscheidungsfindung sind für mich im Vorfeld folgende Informationen wichtig:

  1. Welche Therapie empfehlen die behandelnden Ärzte in der akuten Situation?
  2. Wie groß sind meine konkreten Chancen, durch eine maschinelle Beatmung von der COVID-19-Erkrankung zu genesen.? Ich möchte zumindest in der Lage sein, danach wach, schmerzfrei, selbstbestimmt und sozial eingebunden weiterzuleben. Dreh- und Angelpunkt ist der Übergang von einer Maskenbeatmung zur maschinellen Beatmung mit Intubation und Sedierung.

Eine Patientenverfügung muss im Fall von Corona vor einer möglichen Aufnahme in ein Krankenhaus erstellt werden und der Notärztin oder dem aufnehmenden Arzt zugänglich sein. Unter dem Artikel finden Sie zwei Links zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, die umfangreich (c) und ganz praktisch (d) sind.

Was braucht die Seele?

Während das, was der Körper ist, relativ klar zu definieren ist, fällt dies bei der Seele schwerer. Ich habe die Überzeugung: Beim Sterben löst sich das Geisteskontinuum Seele von seiner Hülle, dem Körper, und kehrt zurück in den Strom oder Ozean des großen Ganzen. Förderlich für dieses vielleicht wichtigste Ereignis im Leben eines Menschen sind vertraute Menschen und Abläufe in der Umgebung, die Bereitschaft von Nahestehenden für Gespräche, Gebete oder Schweigen, für Erinnern und Zuhören oder einfaches da sein. Unbekannte, vermummte Gestalten, die in Hektik und selbst verunsichert und überarbeitet sind, irritieren die Seele, auch wenn sie ihr Bestes tun.

Nicht nur am Ende, sondern bereits mitten im Leben, wirken sich ein ruhiges, vertrautes Ambiente und geliebte Menschen stabilisierend und positiv auf einen Heilungsprozess aus. Heil werden kann die Seele auch bevor sie Flügel bekommt, während der Körper stirbt, meine ich. Die letzten Stunden mit Corona so liebevoll wie nur möglich im Kreis der geliebten Menschen zu gestalten, dafür plädiere ich. Das wünsche ich so, auch in meiner Patientenverfügung.

Hast du Ideen, wie wir soziale, psychische und spirituelle Bedürfnisse Sterbenskranker und älterer Menschen, die in Heimen leben, in Corona-Zeiten angemessen und liebevoll erfüllen können?

In Deutschland haben wir eine gute Struktur, um kranke und sterbende Menschen zu unterstützen. Neben Krankenhäusern und Pflegeheimen gibt es ambulante und stationäre Hospize, die mit ausgebildeten Ehrenamtlichen arbeiten mit ihrem Hauptaugenmerk auf sozialen, psychischen und spirituellen Bedürfnissen. Im Rahmen der Corona-Pandemie wurden diese Helfer und auch alle Angehörigen ausgeschlossen – angeblich im Interesse der Kranken, um ihnen Schutz vor Ansteckung zu garantieren. Damit wird deren
potentiell großer Beitrag zur Heilung über psychische, soziale und spirituelle Wege abgeschnitten.

Ich sehe drei Wege das zu ändern: eine Ausnahmeregelung für Menschen, die an Corona und COVID 19 lebensbedrohlich erkrankt sind und eventuell sterben: Die Anwesenheit von Besuchern sollte rund um die Uhr erlaubt werden, selbstverständlich mit allen Schutzvorkehrungen. Das würde auch die Mitarbeiter *innen entlasten. Ein wichtiger Punkt, den wir selbstbewusst kommunizieren sollten!

Der zweite Weg führt über den Abstand zu „normalen Patienten.“ In einigen Pflegeeinrichtungen werden Corona-Patient*innen in räumlicher Entfernung zu anderen Bewohner*innen untergebracht. Ein Treffen mit Nahstehenden auf dem Balkon oder am geöffneten Fenster sollte möglich sein. Besser finde ich die Einrichtung eines Besucherzimmers, vielleicht am Rande des Krankenhauses oder der Pflegeeinrichtung, in dem sich Patient*innen und Gäste in sicherer Schutzkleidung treffen können.

Und der dritte Weg läuft über Botschaften, die von außen zur Patientin kommen: vom einfachen Brief und Päckchen, einem Foto oder Souvenir, einer Bastelarbeit bis zum persönlichen Fernsprechen und Fernsehen via Telefon, Skype, Zoom und mehr.

Und eine Hilfe, die aus dem Inneren jedes Einzelnen kommt: Wer erkrankt ist, kann sich erinnern: Welche meiner Stärken und individuellen Quellen haben mir früher in schwierigen Situationen geholfen? Welche ähnlichen Herausforderungen habe ich schon einmal gemeistert und wie? Das gibt Kraft und Mut.

Und dies ist für mich der provokanteste Zugang zum Problem: Was ist das Positive an dem Negativen? Eine meiner Lieblingsfragen, die zwar schmerzt aber immer etwas bewirkt, weil sie den Fokus verschiebt und die scheußliche Suppe mit etwas Wohltuendem, z.B. Humor würzt.

Hast du eine persönliche Botschaft für unsere Leser*innen?

Sehen wir in Corona die Chance, den Tod als Teil unseres Lebens anzuerkennen. Das ist der erste Schritt zu einem angstfreieren und würdigen Umgang mit dem Leben generell!


Links:

Ursula Grether: Patientenverfügung bei Covid 19 Erkrankung

a) sehr informativ und umfangreich aus Sicht der Palliativmedizin:
https://www.dgpalliativmedizin.de/neuigkeiten/empfehlungen-der-dgp.html
b) Allgemeines zur Patientenverfügung und mehrere Empfehlungen:
https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Patientenverfuegung-Die-wichtigsten-Tipps,patientenverfuegung123.html
c) Patientenverfügung vom Bundesministerium für Justiz (kostenloser Download):
https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Corona/Patientenverfügung/Corona_Patientenverfuegung_node.html
d) Onlineportal zum Erstellen von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht:
https://mein.afilio.de/documents/de-patienten/edit/

Weiterführende Links

Die Patientenverfügung
http://www.elysium.digital/leben-bis-zuletzt/vorsorge-leben-bis-zuletzt/die-patientenverfuegung/
Die Vorsorgevollmacht
http://www.elysium.digital/leben-bis-zuletzt/vorsorge-leben-bis-zuletzt/die-vorsorgevollmacht/
Die Betreuungsverfügung
http://www.elysium.digital/leben-bis-zuletzt/vorsorge-leben-bis-zuletzt/die-betreuungsverfuegung
3-Sat-Sendung: Hoffnung Palliativmedizin – selbstbestimmt sterben
https://www.3sat.de/wissen/wissenschaftsdoku/210218-sendung-wido-104.html

Lisa Freund
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