„Alles fremden Menschen überlassen? Das ist etwas gruselig.“

Bestatterin Lea Gscheidel über Festivals, einen Kapitän und eine inspirierende Socke

Lea Gscheidel ist die ältere Tochter von Uller Gscheidel und Clarissa Schwarz und eine Mitdreißigerin. Sie arbeitet im Unternehmen ihrs Vaters Charon-Bestattungen in Berlin mit. Lea ist Bestatterin mit Herz und Seele. Sie ist dabei einen eigenen Berufsweg zu gehen, der ihrer Generation entspricht. Wie sie das macht, dazu können Sie hier einiges lesen.


lea-klein-hochWieso hast du dich entschieden Bestatter/In zu werden. Wann war das? Wie stehst du heute zu deiner Berufswahl?

Als ich 2001 zum Studium weggezogen war, hat mein Vater begonnen als Bestatter zu arbeiten und ich habe das aus der Ferne interessiert beobachtet. Relativ bald hatte ich so ein vages Gefühl: Irgendwann, wenn ich mal groß, erfahren und weise bin, werde ich die Arbeit meines Vaters vielleicht gerne fortführen wollen.

Ich habe dann erst Mal international für Festivals und am Theater gearbeitet. Danach bin ich wieder in Berlin gelandet. Ein Jahr später wusste ich: Meine Zeit im Kulturbereich ist vorbei. Also was nun? Nach zwei Jahren in der freien Wirtschaft konnte ich mir auch das nicht mehr vorstellen. Ich war 32, arbeitslos und beruflich etwas verloren.

Mit meinem Vater habe ich dann einen Deal gemacht und zwar, dass ich ein halbes Jahr 20 Stunden die Woche für ihn arbeite, in der Zeit seine Webseite neu mache und ihn bei Trauerfeiern unterstütze. Denn um eine gute Bestatterin werden zu können, dachte ich, müsste ich zumindest Kinder bekommen haben oder so.

Schon bald stellte sich raus, dass ich Freude an der Arbeit hatte und meine Bedenken, noch nicht reif für den Beruf zu sein, lösten sich durch die positiven Rückmeldungen der von mir betreuten Familien und Freunde in Luft auf. So habe ich dann nach dem halben Jahr eine Ausbildung bei meinem Vater begonnen. Und bin bis heute sehr glücklich mit dieser Entscheidung.

Gibt es ein besonders Anliegen, das du hast, eine Art inneren Auftrag, der dich motiviert zu diesem Beruf?

Mein Anliegen ist es, den Umgang mit dem Tod wieder zurück zu holen in die eigene Regie der Menschen, die betroffen sind.

Ich finde die Idee, ab dem Zeitpunkt des Todes alles fremden Menschen zu überlassen, etwas gruselig. Und der Übergang vom Krankenbett zum Friedhof in der Urne ist für die meisten Menschen nicht wirklich zu begreifen; auch wenn wir rational in etwa erfassen, wie die Abläufe sind. Aber deswegen können wir uns das, was geschieht, noch lange nicht vorstellen. Wer hat denn außer im Tatort schon mal einen Toten gesehen und begleitet? Wer weiß denn, wie ein Krematorium aussieht und was dort passiert?

Erzähle uns ein Erlebnis, von dem du viel gelernt hast.

Eine Mutter, deren Sohn sich suizidiert hatte – er war in etwa so alt wie ich – sagte mir, nachdem wir gemeinsam ihren Sohn angekleidet hatten: „Als du ihm die Socke angezogen hast, dachte ich – wenn die das kann, kann das so schlimm nicht sein.“ Das hat sie ermutigt. Dann hat sie den zweiten Socken genommen und von da an lief alles ganz selbstverständlich.

Dies war das Schlüsselerlebnis zu meinem Selbstbild als Bestatterin. Bisher kannte ich vor allem meinen Vater, mit dem man als erfahrenem Kapitän sicher durch die stürmischste See kommt. Das konnte ich schlecht verkörpern. Dieses Erlebnis hat mich dazu inspiriert, für mich ein völlig anderes Selbstbild als Bestatterin zu entwickeln. Ich möchte Menschen durch meine Haltung davon überzeugen, dass, wenn ich das kann, sie das auch können.

Du bestattest häufig Babys und Kinder. Wie gehst du damit um? Hast du einen Rat für Eltern, die ihr Kind verloren haben?

Ich glaube das wichtigste ist, dass ich damit einverstanden bin, dass auch Babys sterben dürfen. Natürlich ist es traurig, aber auch sie haben ein vollständiges Leben gehabt und oft tiefgreifende Veränderungen bei den Menschen um sich herum bewirkt. Ich möchte diese kleinen Menschen in ihrem ganzen Sein würdigen und nicht denken, es ist etwas falsch mit ihnen und ihr Leben hätte nicht so sein dürfen, wie es war.

Und im Unterschied zur Betreuung von Menschen, die z.B. ihre alten Eltern oder ihren langjährigen Lebenspartner verlieren, geht es in der Betreuung von Sternenkindereltern auch darum, die Bindung zu dem Kind zu stärken und nicht nur den Abschied und das Loslassen zu unterstützen. Eltern denken manchmal, dass es ihnen noch frei steht, eine Verbindung zu ihrem toten Baby einzugehen oder nicht und dass sie sich vor Schmerz schützen können, je weniger sie die Bindung zulassen. Das Gegenteil ist der Fall – denn die Verbindung zu ihrem Kind ist schon lange vor der Geburt entstanden. Gerade das Anerkennen dieser Bindung und das Zulassen des Schmerzes wirken heilend und stärkend.

Eltern gebe ich gerne mit, dass sie sich und ihrer Elternliebe vertrauen sollen. Ich ermutige sie, einen Schritt nach dem anderen zu gehen und nicht zu meinen, sie müssten zwei Tage nach dem Tod ihres Kindes schon wissen wie die Trauerfeier aussehen soll. Es ist so wichtig, sich Zeit zu nehmen. Die Väter können sich zum Beispiel krank schreiben lassen.

Worauf legst du in der Begleitung von trauernden Angehörigen besonderen Wert?

Ich versuche, mich ihrem Tempo anzupassen und genügend Zeit zu geben, bis eine Entscheidung reif ist. Besonders schön ist es, wenn Sie dadurch aus dem Schock und der Erstarrung langsam zu liebenden, trauernden, sich unterstützenden Menschen werden, die ab und an über sich hinaus wachsen und gestärkt aus dieser schwierigen Zeit hervor gehen können – auch wenn es schmerzhaft ist. Es ist so gut, wenn die Dinge ins Fließen kommen. Mir geht es um: ermutigen, vertrauen, zutrauen.

Gibt es einen Satz, eine Weisheit oder irgendetwas Persönliches, was du unseren Usern mitteilen möchtest?

Vertraut euch und traut euch!

Wir danken dir für dieses Gespräch.


 

www.charon.de

Biografie von Lea Gscheidel

Lea Gscheidel ist 1981 geboren. Sie lebt in Berlin, und zwar in Kreuzberg. Nach einem Kulturmanagement-Studium arbeitete sie an der Berliner Schaubühne. Der Gedanke, einmal Bestatterin zu werden, begleitet sie schon viele Jahre. Sie ist mit ganzem Herzen Bestatterin und entwickelt einen zu ihr und ihrer Generation passenden Ansatz. Ihre Arbeitsorte sind vielfältig: Fuhrunternehmer, Friedhöfe, Friedhofskapellen, Krematorien, alle Orte, an denen gestorben wird, die Wohnungen der Verstorbenen. Sie betreut Menschen jeden Alters und unterschiedlicher Kulturen. Seit Dezember 2015 ist Lea zertifizierte Bestatterin (NL) – „Gecerdificeerde uitvaartbegeleider“. Die Weiterbildung hat sie bei meander in Zwolle absolviert und so auch die niederländische Bestattungskultur kennen gelernt. Sie spricht Englisch, Niederländisch und Russisch.

Ein Interview mit Lea Gscheidel in der „Zeit“:

www.zeit.de/karriere/beruf/2016-07/bestatterin-job-trauer-tod-friedhof

Lisa Freund
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2 Antworten

  1. Elke Sohler sagt:

    Fantastischer Artikel, der mir aus dem Herzen spricht! Meine Tochter hat sich mit 26 Jahren suizidiert, ihr Tod war für mich das erste Mal, dass ich überhaupt mit dem Tod in Berührung kam. Ich habe mir mit Bedacht ein von Frauen geführtes Bestattungsunternehmen ausgesucht, bei dem ich mich gut aufgehoben und gesehen fühlte. Ich habe bestimmt eineinhalb Stunden mit meiner verstorbenen Tochter verbracht, um mich zu verabschieden. Habe mit ihr gesprochen, ihr mitgebrachte Socken von ihren Brüdern angezogen, viele kleine Zöpfe geflochten einige davon mitgenommen. Das war so wichtig – dieses Abschied nehmen. Und auch dass ich sie noch mal gesehen habe und mich davon überzeugen konnte, dass sie schön aussah. Meine Fantasie hatte dadurch keinen Spielraum mehr. Ich habe Ihre Urne später beim Bestatter abgeholt und zum Friedhof gefahren (das ist in NRW erlaubt) und ich habe sie selbst auf ihrem letzten Weg im Arm getragen. Ich möchte das alles nicht missen und kann nur jeden dazu ermutigen, ‚ja‘ zu sagen und teilzuhaben an allem. Für mich waren es – ohne dass ich es damals wusste – die ersten Schritte zu innerem Frieden mit ihrem Tod.

  1. 21. April 2017

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