Unterwegs mit dem Wünschewagen

Ein unvergesslicher Tag

Ja, es gibt ihn, den „Wünschewagen“, der letzte Lebenswünsche von schwerkranken Menschen jeden Alters erfüllt. Er ist eine Initiative des Arbeiter Samariter Bundes (ASB) und steht in mehreren Bundesländern zur Verfügung. Herr Rupprecht beschreibt ihn genauer. Er begleitet Menschen auf ihren Wunschfahrten und erzählt uns davon.

Herr Rupprecht, können Sie uns sagen, wie Sie darauf gekommen sind, sich an die Erfüllung letzter Wünsche zu wagen mit Hilfe des Wünschewagens? Wie hat sich Ihr Projekt bis heute entwickelt?

Ich habe den Wünschewagen 2014 bei einem Tag der Offenen Tür bei der Feuerwehr Essen kennengelernt. Ich war sofort begeistert von dem Projekt, da ich als Krankenhausseelsorger in der Uniklinik Essen tätig sein darf.

Wie finanzieren Sie die Fahrten und anfallenden Kosten für den Wünschewagen?

Das Projekt wird aus Spenden finanziert. Die Begleitpersonen der Fahrten tun dies ehrenamtlich und unendgeldlich.

Ich habe gelesen, dass der Wünschewagen ein eigens für diesen Zweck entwickelter Krankentransportwagen ist, der unter der Obhut des Arbeitersamariterbundes steht. Was ist so besonders an diesem Auto?

Das Besondere an diesem Wagen ist, dass er komplett ausgestattet ist wie ein ‚normaler‘ Krankenwagen, das medizinische Equipment aber so verstaut ist, dass es die Fahrgäste auf den ersten Blick nicht sehen. Des Weiteren hat er im Gegensatz zu herkömmlichen KTWs eine Rundumverglasung, so dass die Fahrgäste auch während der Fahrt hinausschauen können.

Sie erwähnen auf Ihrer Website, dass Sie auf persönliche Bedürfnisse des Kranken eingehen, den Sie transportieren. Dabei geht es auch um eine Wohlfühlatmosphäre. Was gehört dazu?

Wie zuvor schon erwähnt, ist das medizinische Zubehör für den Fahrgast ‚ unsichtbar‘ und erinnert ihn nicht die ganze Zeit an die Erkrankung.

Es ist normale Bettwäsche mit richtigem Kopfkissen und Decke vorhanden, LED-Beleuchtung im Dachhimmel  und auf Wunsch des  Patienten kann er auch ‚seine‘ Musik im Fahrgastraum hören.

Sind es eher junge oder eher ältere Menschen, die sich mit Ihrer Hilfe ihren letzten Wunsch erfüllen. Gibt es da auch Entwicklungen?

Über genaue Zahlen kann ich leider nichts sagen; aber gefühlt ist das Verhältnis ein Drittel jüngere Fahrgäste bis 40 Jahre und zwei Drittel darüber liegend.

Gehen Sie aktiv auf Menschen zu und fragen sie nach ihren Wünschen? Oder warten Sie, bis Sterbebegleiter sich bei Ihnen melden?

Grundsätzlich werden Menschen, zumeist Freunde oder Angehörige, durch die gute Werbung des ASBs aufmerksam auf das Projekt bzw. sie lesen in diversen Foren wie Facebook oder Zeitschriften darüber.

Ich, in meiner Tätigkeit als Krankenhausseelsorger, gehe auch schon mal aktiv auf Patienten zu, wenn ich im Gespräch höre: ‚ Ich würde gern nochmal……..‘

Stellen Sie uns bitte noch kurz einige Wünsche vor, die Sie begleitet haben, vielleicht auch Kinderwünsche.

Ich durfte, meist zusammen mit meinem Sohn Lars, schon einige Wünschefahrten mit begleiten.

Ich erinnere mich an Fahrten eines Großvaters aus Essen zur Taufe seiner Enkelin in Mönchengladbach.

Eine meiner schönsten Fahrten war ein Konzert der ‚ Hooters‘ in Hamminkeln mit einem Fahrgast ‚meiner‘ Palliativstation im vergangenen Jahr. Er, Rocker durch und durch, hatte diese Karten schon Monate zuvor geschenkt bekommen, wurde dann aber immer immobiler durch deine onkologische Erkrankung. Mit der Stationsärztin der Palliativstation machten wir uns dann auf den Weg. Er genoss dort, auf der Trage liegend, das Konzert und seine letzte Zigarette. Er verstarb vier Tage nach dem Konzert. Für ihn war, nach seinen Aussagen, das Konzert das Beste, was ihm noch widerfahren konnte.

Was sagen Sie Menschen, denen sie ihren letzten Wunsch nicht erfüllen können, wenn bei allem guten Willen beispielsweise dann doch eine Absage erteilt werden muss?

Die wenigen Patienten, denen ich das sagen musste, hatten  Verständnis dafür, dass zum Beispiel keine Karten mehr für rollstuhlgerechte Plätze für ein Fussballspiel zu bekommen waren. Dennoch waren diese Menschen froh , dass sich gekümmert wurde und dass tatsächlich alles versucht wurde, diesen Wunsch zu erfüllen.

Manchmal lässt es auch der Gesundheitszustand der Fahrgäste dies nicht mehr zu, was die Patienten und deren Angehörige dann aber auch oft so sehen.

Ich stelle mir vor, es kann durchaus zu belastenden Situationen kommen, etwa wenn ein Mensch während einer Aktion stirbt. Wie bereiten Sie Ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter auf so eine Situation vor? Bilden Sie die Ehrenamtlichen aus?

Gott sei Dank ist diese Situation derzeit noch nicht eingetreten , dass ein Fahrgast während der Fahrt verstorben ist, was aber jederzeit passieren könnte.

Die Ehrenamtlichen erhalten zu Beginn eine Schulung über ein Wochenende, an dem ich auch als Dozent tätig sein darf. Es geht um die Einweisung des Wünschewagen und rechtliche Informationen, aber auch – das ist dann mein Part – um Gespräche über Tod und Trauer, Gespräche mit Sterbenden, …. Die Ehrenamtlichen bringen aber zumeist selbst schon eine Menge Empathie und Lebenserfahrung mit, wie ich in den meist sehr offenen Gesprächen erfahren darf.

Weiterhin stehe ich dann aber auch zur Verfügung, um mit KollegInnen über das Erlebte zu sprechen.

Gestatten Sie mir eine provokative Frage: Bisweilen entsteht die Nachfrage erst durch das Angebot. Statt die Zeit für die persönliche Entwicklung, Gespräche mit seinen Lieben, Ruhephasen und einiges mehr zu nutzen, reisen Menschen. Könnte da nicht auch ein „Event-Charakter“ entstehen, der Menschen hindert, die letzte Zeit wirklich ohne Ablenkung zu nutzen?

Eine provokative Gegenfrage: Ist es nicht schöner, wenn diese Gespräche und das Zusammensein mit den Lieben an einem schönen Ort, wie zum Beispiel an einem gemeinsamen Urlaubsort oder am Meer, stattfinden können?

Herr Rupprecht, Sie sind von Anfang an beim Projekt als Wunschbegleiter dabei. Sie sind von Beruf Seelsorger an der Uniklinik in Essen. Ihr Sohn ist als ehrenamtlicher Sanitäter öfter als Wunschbegleiter tätig. Können Sie uns kurz ein besonderes Erlebnis schildern, das Sie in der Wunschbegleitung besonders berührt hat?

Die kleine Leonie (8), die an Mucoviscidose erkrankt war, wollte  unbedingt nochmal nach Norddeich, da sie dort früher im Urlaub war. Sie wollte dort die nach ihren Aussagen weltbesten Pommes essen. Leider ist sie am Abend vor der Fahrt verstorben, aber mit dem Gedanken, dass sie am Tag später die Fahrt hätte antreten können.

Mein Sohn Lars hat mit seinem Freund Dennis eine 19-jährigen Patientin, die ich auch aus dem Klinikum kannte, mit ihren zwei Freundinnen nach Holland zur Nordsee fahren dürfen, da sie zuvor noch nie das Meer gesehen hatte. Es war für alle ein anstrengender, aber unvergesslicher Tag. Einen Tag vor ihrem Tod im Hospiz schickte sie mir eine Sprachnachricht, in der sie sich nochmal ausdrücklich für diesen wunderbaren Tag bedankte.

Es ist viel Aufwand, wenn der Wünschewagen mit den BegleiterInnen kommt. Nachbarn bekommen das mit ebenso wie Menschen, die gerade unterwegs sind.  Der Wagen hat eine Aufschrift: „Der Wünschewagen mit der Unterüberschrift: Letzte Wünsche wagen.“ Die Sterbenskranken, die abgeholt werden, outen sich, wenn Sie einsteigen oder hineingeschoben werden. Ihre lebensbedrohliche Erkrankung wird öffentlich. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Thema?

Ich persönlich habe noch nie erfahren, dass mir Fahrgäste oder Angehörige sagen, parken sie bitte eine Strasse weiter, es darf niemand etwas erfahren. Oft ist es so, dass Fahrgäste, die sich im Stadium einer limitierenden Lebenserwartung befinden, schon sehr viel offener damit umgehen und keine Scheu haben, dies auch öffentlich zu machen.

Einem Fahrgast war es wichtig – unter großer Anstrengung – selbst zum Wagen zu laufen, wobei er sagte, dies sei für ihn und nicht für die Nachbarn wichtig.

Ich stelle mir vor, ich komme in eine Familie und alle warten schon auf das Auto, sind aufgeregt und auch ein bisschen unsicher. Für die Familie sind sie so etwas wie ein wunscherfüllendes Juwel, das Freude und Hoffnung bringt. Da gibt es vielleicht große Erwartungen an Sie. Sie ihrerseits haben ein wenig die Rolle eines Glücksbringers. Wie gehen Sie damit um?

Es ist eine Freude und ein unbeschreiblich schönes Gefühl, nach einer guten Fahrt heim zu kommen und einen Menschen, meist sind es ja mehrere, glücklich gemacht zu haben. Auch wenn ich oft danach geschafft bin, würde ich dies immer wieder tun.

Im Film „Knocking on heavens door“ erfüllen sich zwei Männer ihren letzten Wunsch selbst und reisen ans Meer. Ein humorvoller und berührender Film – aber besteht nicht auch die Gefahr, dass eine zu romantische Vorstellung vom Sterben entsteht?

Ich weiss nicht genau, wie eine romantische Vorstellung vom Sterben nach Ihrer Meinung ausschaut. Ich erlebe zumeist Menschen, die sich ihrer Situation sehr wohl bewusst sind, auch um die limitierende Lebenserwartung. Romantische Vorstellung habe ich in diesem Zusammenhang noch nicht wahrgenommen. Sie?

Auch Sie üben die Wunschbegleitung ehrenamtlich aus. Was gibt Ihnen diese Tätigkeit ganz persönlich, was motiviert Sie?

Wie ich schon zuvor erwähnte, ist es dieses glücklichmachende Gefühl, nach einer guten Fahrt heimzukommen.

Es ist diese Dankbarkeit, dass es meiner Familie und mir gut geht. Davon möchte ich gern ein wenig anderen Menschen wiedergeben.

Wie erholen Sie sich, wenn es einmal anstrengend und schwierig war? Gibt es etwas Bestimmtes, das Ihnen dann gut tut?

Ich rede viel mit meiner Frau und meiner Familie über die Fahrten. Ich genieße seit meiner Zeit im Klinikum viel bewusster das Leben und bin zufriedener und dankbarer geworden.

Als katholischer Diakon habe ich meinen Glauben, der mich vieles leichter ertragen läßt. Ein Bittgebet vor der Fahrt, aber auch ein Danke nach der Fahrt gehört für mich zu den Fahrten dazu, so wie ich es auch bei Einsätzen in der Notfallseelsorge halte.

Herr Rupprecht, haben Sie zum Abschluss einen Rat für unsere LeserInnen oder ein Zitat, das Ihnen viel bedeutet, vielleicht auch eine Buchempfehlung oder ein Musikstück, das Sie uns ans Herz legen wollen, einen Film?

‚Das Beste kommt zum Schluss‘ mit Morgan Freeman und Jack Nicholson ist für mich ein ganz besonderer Film, den ich seinerzeit von einem Patienten im Klinikum geliehen bekam, der selbst an einem Hirntumor erkrankt war.

Für mich ist das Fazit des Filmes, dass, so schön wie eben solche Fahrten sein können und auch sind, das Wichtigste die Familie und liebe Menschen um einen herum sind, wenn das Ende schon unausweichlich ist…

Wir danken Ihnen für das Interview.

Lisa Freund
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