„Ich möchte, dass Du mir die Hand hältst“

Gespräch mit Thomas Flörchinger, Trauerredner

Thomas Flörchinger, Jahrgang 1960, ist freier Redner und Trauerbegleiter. Seit 16 Jahren begleitet er Menschen in Verlustsituationen. Davor hat er Journalistik und Neuere und Zeitgeschichte studiert und ein Volontariat beim Westdeutschen Rundfunk in Köln absolviert. Mehr als 10 Jahre lang hat er als freier Fernseh- und Hörfunk- Autor bei verschiedenen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gearbeitet. Flörchinger lebt und arbeitet in Engelskirchen im Bergischen Land, östlich von Köln.

DSC_0078 - KopieWann war der erste Augenblick, an dem Du Dich bewusst mit dem Thema Sterben und Tod befasst hast?
Das war Anfang der 90er Jahre, als eine sehr gute Freundin, die seit Jahren an einer stetig sich verschlimmernden Krebserkrankung litt, eines Tages zu mir sagte: „Wenn es bei mir mal ans Sterben geht, möchte ich, dass du bei mir bist und mir die Hand hältst!“ Damals wusste ich noch gar nichts über das Thema Tod und Sterben, und der Wunsch meiner Freundin Gudula hat mich schier umgehauen. Dann aber ist es genauso gekommen, wie Gudula es sich gewünscht hatte. Sie lag im Krankenhaus und hatte allen auf der Station Bescheid gesagt, was ihr dringlichster Herzenswunsch war. Also klingelte eines Morgens um 2 Uhr mein Telefon. Die diensthabende Ärztin riet mir zu kommen, weil abzusehen sei, dass Frau J. noch in dieser Nacht sterben würde. Als ich zu Gudula ins Zimmer kam, wusste ich augenblicklich, dass dem so war. Ich hielt Gudulas Hand und ließ sie nicht wieder los, bis sie hinübergegangen war. Gudula war nicht mehr ansprechbar, aber durch einen leichten Händedruck gab sie mir zu verstehen, dass sie wusste, dass ich da war. Ich habe mit ihr immer wieder gesprochen, und als sie ihren letzten Atemzug getan hatte, war ich total erstaunt, dass fast drei Stunden vergangen waren.

Irgendwann hast Du die Entscheidung getroffen, beruflich in diesem Bereich aktiv zu werden. Wie kam es dazu?
Nach dem Erlebnis mit meiner Freundin Gudula war ich erheblich sensibilisiert für das Thema. Dann nahm ich bei einer Redaktionskonferenz der WDR-Sendung „Gott und die Welt“ ein Thema mit nach Hause, das für mich endgültig die Weichen für meinen weiteren Werdegang stellte: „Wenn ein Mensch gestorben ist – Wie gehen wir mit dem Leichnam um?“ Im Zuge der Recherche stieg ich dann immer tiefer in das Thema ein, lernte viele sehr andere, sehr spezielle Menschen kennen, unter anderem meinen späteren Chef, den Inhaber eines großen Bestattungshauses. Der suchte eines Tages per Zeitungsannonce – mich…! Also, gesucht hat er den Menschen, der mit ihm seine Ideen weiterspinnt, sein Bestattungshaus war nämlich auch eine Art „Musentempel“, mit Lesungen, Kunstausstellungen und Konzerten. Und so wurde ich Trauerberater, Trauerbegleiter, ich
lernte mit Menschen in Krisensituationen zu reden, ihnen beizustehen, Abschiede zu gestalten, da zu bleiben, wenn andere „schreiend wegliefen“. Seit 2010 bin ich nun selbständig als Redner für alle Übergangsrituale des Lebens, Willkommensfeiern, Hochzeiten, Ehejubiläen, Abschiedsfeiern… etc.

Wie wird man Trauerredner – gibt es da eine Ausbildung? Gibt es Deiner Meinung nach persönliche Voraussetzungen, die man erfüllen sollte, um diese Arbeit gut zu erfüllen?
Für mich ist Redner sein, Rituale des Übergangs, Feiern des Lebens zu gestalten, eine Berufung. Es ist kein Ausbildungsberuf. Aber unerlässlich sind Empathiefähigkeit, ein echtes Interesse, ja Liebe zu Menschen, eine solide Allgemeinbildung ist hilfreich, psychologisches Einfühlungsvermögen natürlich, und eine Ausbildung als Trauerbegleiter kann auch nicht schaden.

Die Themen rund um Sterben und Vergehen sind ein bedeutsamer Teil Deines Lebens geworden. Wie wirkt sich das auf Dein Leben aus?
Seit ich wirklich verinnerlicht habe, dass der Tod die einzige Gewissheit unseres Lebens ist, erlebe ich mich gelassener. Fast täglich begegne ich Menschen in ihren schwersten Lebenskrisen, und manchmal habe ich das Gefühl, „ich übe“. Ich habe Eltern, eine Ehefrau und fünf jüngere Geschwister, das Erleben eines ganz nahen Todes in der eigenen Familie steht mir also noch bevor, ist aber unvermeidlich. Mit meiner Frau zusammen habe ich ihre Schwester in den Tod begleitet und verabschiedet, eine sehr berührende Erfahrung. Ich lasse mich berühren, bin aber auch derjenige, „der weiß, wie es geht“, der den Menschen die Sicherheit geben kann, dass wir uns der schweren Aufgabe gemeinsam stellen können. Und manchmal kommen die Menschen danach zu mir als Trauerbegleiter, und ich gehe noch ein weiteres Stück mit ihnen, an ihrer Seite. Tod und Sterben sind die zentralen Punkte in meinem Leben, und deshalb bin ich ein noch mehr dem Leben zugewandter, lebensfroher, genussfreudiger Mensch geworden. Wer weiß, was morgen auf uns wartet…?

Sicherlich entwickelt man in dieser Arbeit auch eine nötige professionelle Distanz. Und doch gibt es sicherlich immer wieder Augenblicke, die sehr traurig machen. Wie gehst Du selber mit der Trauer um?
Es gibt in der Tat Begegnungen, die mich selber an den Rand dessen bringen, was ich ertragen kann, z.B. wenn es um Kinder geht. Da ist die professionelle Distanz dann umso nötiger. Und ich muss darüber reden können, sehr oft ist es meine Frau, die mir dann zuhört und mit mir trauert.
Doch manchmal hilft nur noch eins: Ins Bett und Decke über den Kopf!
Und Weinen! Als Elsa, meine Trauerbegleiter-Lehrerin und wie eine ideale Mutter für mich, gestorben ist, habe ich die Musik für die Trauerbegleitung ganz laut gehört und meinen schmerzlichen Verlust laut beweint.

Was sind die schönsten Momente in Deiner Arbeit?
Jede Begegnung mit den Menschen, zu denen ich komme, weil jemand gestorben ist, ist einzigartig und besonders. Oft sage ich: Das ist es, was mich wirklich glücklich macht. Manchmal lachen wir lauthals bei den Trauergesprächen, weil es so viel Schönes und Lustiges zu erzählen gibt. Und auch bei den Abschiedsfeiern wird oft geschmunzelt und manchmal auch herzlich gelacht. Mir ist gerade das wichtig: dass wir auf ein Leben mit Wohlwollen und Dankbarkeit zurückblicken, und dass wir auch das weniger gelungene und schwere nicht weglassen. Ein Leben zu würdigen, den Frieden zu machen mit einem Menschen, mit dem Verlauf eines (gemeinsamen) Lebens, wenn mir das gelingt, wenn mir das die Menschen nach der Feier rückmelden, dann macht mich das glücklich.

Was denkst Du: Was kommt nach dem Tod?
Ich beobachte schon seit geraumer Zeit, dass mich diese Frage immer weniger umtreibt. Konstantin Wecker hat mal bei einem Konzert gesagt: „Solange keiner definitiv weiß, was danach kommt, möchte ich mir vorstellen und ganz fest daran glauben, dass die Sache mit dem Tod und dem Sterben für uns gut ausgehen wird…!“ So würde ich auch meine Haltung zusammenfassen. Ich habe also keine Überzeugung, aber eine sehr große Zuversicht. Schaun wir mal…!

Was würdest Du Menschen als Vorbereitung auf die Zeit nach dem Tod empfehlen, die Angehörige in der letzten Phase ihres Lebens begleiten?
Da sein, da bleiben in der letzten Phase, das ist schon das allerwichtigste. Einen Menschen bis zur Schwelle zu begleiten, die uns Lebende von den Toten trennt, ist eines der bewegendsten Erlebnisse, die wir Menschen haben können. Damit legen wir schon eine ganz wichtige Grundlage für das Leben danach, das dann ohne diesen Menschen weitergehen wird. Und: alle Gefühle zulassen, auch die weniger angenehmen, wie Wut oder Verzweiflung. Alle Gefühle, auch die allerheftigsten, gehören zu uns und brauchen einen Ausdruck. Erst dann können wir unseren Frieden machen mit der Tatsache, dass der Tod uns einen Menschen nimmt. Indem wir den Schmerz annehmen, finden wir wieder zurück ins Leben.

Hast Du ein Lieblings-Zitat, -Gedicht oder Musikstück?
Georg Philipp Telemanns Kantate „Du aber, Daniel, gehe hin“ soll bei meiner eigenen Abschiedsfeier erklingen. Ich habe sie selbst vor Jahren mit dem Deutsch-französischen Chor Köln in Groß St. Martin gesungen. Sie handelt von unserer Sterblichkeit und ist die Musik, die mich in meinem Leben am meisten berührt hat.
Und natürlich Rilke: „Der Tod ist groß, wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten
im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.“

Welches Buch sollte man gelesen haben?
Für mich das wichtigste Buch, um als „Kriegsenkel“ unsere Kriegskinder-Eltern besser verstehen zu lernen: „Die vergessene Generation“ von Sabine Bode.
Und zum Thema Trauer: „Ich sehe deine Tränen“ von Jorgos Cancakis

 

 

Michael Ziegert
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Eine Antwort

  1. 3. November 2016

    […] „Ich möchte, dass Du mir die Hand hältst“ […]

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