„Ich stehe als Mensch an der Seite der Angehörigen“

Interview mit Uller Gscheidel, Bestatter in Berlin

Uller Gscheidel ist seit 1998 Bestatter mit Leib und Seele. Er ist nicht nur sachkundiger Berater in allen Fragen rund um den Umgang mit dem Leichnam sondern vor allem Prozessbegleiter, der Menschen an die Hand nimmt in der schwierigen Zeit vom Tod bis zum Begräbnis. Ein Leben im Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit ist für ihn wertvoll.
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Wieso hast du dich entschieden Bestatter/In zu werden. Wann war das? Wie stehst du heute zu deiner Berufswahl?

Als mein Vater 1998 starb, kam ich zum ersten Mal in Kontakt mit dem Thema Bestattung und einem Bestattungsunternehmen. Super Service, freundlich, zuvorkommend – aber am Ende blieb etwas zurück wie: Das war jetzt alles nicht wirklich hilfreich. Obwohl alles „gut geklappt“ hat und alles, was wir bestellt hatten, geliefert worden war – hochprofessionell aber menschlich unterbelichtet. Wenn ich heute auf die vergangenen 15 Jahre schaue, war die Entscheidung Bestatter zu werden, eine sehr gute. Ich habe davor viel gelernt, was ich heute brauche, und glaube, dass ich mit meinen Fähigkeiten am richtigen Platz stehe.

Gibt es ein besonders Anliegen, das du hast, eine Art inneren Auftrag, der dich motiviert zu diesem Beruf?

Letztendlich ist es wohl der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Tod, seine Tabuisierung im Persönlichen, die uns als Menschen auch an einer weiteren Entwicklung hindert. Leben im Bewusstsein eigener Sterblichkeit ändert die Sicht auf das Leben und die materielle Welt.

Erzähle uns ein Erlebnis, von dem du viel gelernt hast.

Da gibt es nicht ein Erlebnis, sondern jeder Tote und jede Familie lehrt mich etwas. Mehr Respekt vor anderen Sichtweisen und Bedürfnissen, mehr Kreativität im Umgang mit den Aufgaben von Bestattung, Klugheit, Mitgefühl und vieles mehr. Und auch der Tod in seiner Sichtbarkeit lehrt eben etwas über die eigene Vergänglichkeit und den Versuch so zu leben, dass man jetzt sterben könnte.

Du bestattest häufig Babys und Kinder. Wie gehst du damit um? 

Babys und Kinder sind Menschen, deren Leben eben kürzer war. Das ist nicht das Problem. Vielmehr sind es die Wünsche, Erwartungen und Hoffnungen der Eltern und der Familien, die sich jetzt nicht mehr erfüllen. Die Zukunft scheint verloren, wenn Kinder vor den Eltern sterben. Kinder, auch wenn sie noch im Bauch sind, machen Paare zu Eltern. Das ist eine große Veränderung für die Familien, die nicht mehr rückgängig zu machen ist, auch wenn das Kind stirbt.

Hast du einen Rat für Eltern, die ihr Kind verloren haben?

Mein Rat kann nur sein, dass die Eltern Ihren eigenen Weg finden mit dem Verlust weiter zu leben – nicht nur überleben, sondern im besten Fall vielleicht sogar gestärkt daraus hervor gehen. Hilfreich scheint mir aber vor allem, dass sich Eltern der Erfahrung stellen, ihr Kind bei den letzten Schritten begleiten und dadurch ins Handeln kommen. Das stärkt, auch wenn sie sich gegenüber dem Tod ihres Kindes hilflos fühlen.

Worauf legst du in der Begleitung von trauernden Angehörigen besonderen Wert?

Aus meinem Verständnis als Bestatter kommt es in erster Linie darauf an in Beziehung zu treten mit den betroffenen Menschen. Es geht eher am Rande um Sachkompetenz in Sachen Bestattung; vielmehr geht es darum, dass ich mich als Mensch an die Seite der Angehörigen stelle, ihnen beistehe und sie ermutige, eigene Wege zu finden und zu gehen.

Gibt es einen Satz, eine Weisheit oder irgendetwas Persönliches, was du unseren Usern mitteilen möchtest?

In der Sterblichkeit allen Lebens liegt der Schlüssel zur Lebendigkeit.

Wir danken dir für dieses Gespräch.


Biografie

Uller Gscheidel ist Dipl. Pädagoge und nach vielen Jahren beratender und leitender Tätigkeit seit 2002 Bestattungsunternehmer (www.charon.de). Er wollte in einem gesellschaftlichen Umfeld neu beginnen, das aus seiner Sicht dringend Impulsen der Erneuerung bedarf, gerade in einer Zeit, in der fest gefügte Rituale und Abläufe in Krisensituationen für immer mehr Menschen hohl und sinnentleert wirken.
 Freilassender Respekt und Toleranz gegenüber anderen Menschen und Einstellungen waren immer Grundlage seiner Beratertätigkeit. Mitgefühl und Verständnis sind in 35 Jahren aus dem tibetischen Buddhismus gewachsen.
 Seit 2012 ist er Gesellschafter und Geschäftsführer der von ihm und seiner Kollegin Susanne Jung gegründeten Gesellschaft PortaDora mit Sitz in Berlin.

Das Interview mit Clarissa Schwarz, seiner Lebenspartnerin, finden Sie hier.

Weitere Infos:

http://buddhismus-aktuell.de/artikel/online-artikel/interview-mit-einem-buddhistischen-bestatter.html

 

Lisa Freund
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7 Antworten

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