Wenn die Welt aus den Fugen gerät

Ein Beitrag zum Thema spirituelle Begleitung aus buddhistischer Sicht

Miriam Pokora, Koordinatorin im buddhistischen Hospizdienst Horizont, stellte einige Aspekte spiritueller Begleitung vor. Sie gibt Anregungen, die aus buddhistischer Sicht wichtig sind.

„Jeder Mensch will glücklich sein und nicht leiden.“ Das ist ein Satz, den der Dalai Lama oft wiederholt. Ich denke, darin steckt eine einfache und gleichzeitig sehr tiefe Wahrheit. Wenn das Leben durch schwere Krankheit oder drohenden Tod erschüttert wird, gerät unsere gesamte Welt aus den Fugen. Ich kann nicht pauschalisieren, was Buddhisten unter einer spirituellen Begleitung verstehen. Das ist sehr individuell. So wie ein Christ unterschiedliche Vorlieben für bestimmte Gebete hat oder einen bestimmten Pastor, so ist auch der buddhistische Weg stark von den Gewohnheiten des Einzelnen geprägt.

Flexibel sein

Zu unseren Ehrenamtlichen sage ich immer, dass wir Fragen liebgewinnen sollten. Das bedeutet, ich muss erst wissen, was der andere braucht, was er gewohnt ist und was er als unterstützend empfindet. Ich habe mal am Bett einer schwerkranken Buddhistin gesessen. Im Vorgespräch hatte sie einige theoretische Fragen und wollte eine bestimmte Meditation praktizieren. Am Ende ihres Lebens sprudelte es aus ihr heraus. Ich saß an ihrem Bett und plötzlich kam dieser völlig klare Moment, der Blick in meine Augen und der Satz: „ Bitte, sing etwas für mich!“ Natürlich habe ich nicht die von ihr vorher gewünschte Meditation angeleitet, sondern mit ihren Lieben dort gesessen und mit allen zusammen, das wunderschöne “Om Mani padme Hum – Mantra“ gesungen. Das hat ihr Erleichterung verschafft. Auch für die Angehörigen waren das bei aller Trauer und dem Abschiedsschmerz Momente tiefer Verbundenheit und Schönheit.

Gegenwärtig sein

Buddhistisch orientierte Menschen üben sich darin, die Aufmerksamkeit immer wieder in den gegenwärtigen Moment zu bringen und flexibel auf das zu reagieren, was gerade geschieht. Das kann sehr befreiend sein, weil es ermöglicht, über einengende Konzepte, wie etwas zu sein hat, hinaus zu gehen und gleichzeitig bei sich, dem anderen und seinen Bedürfnissen zu bleiben. Diese Fokussierung schenkt uns Freiheit im Handeln. Wir begleiten BuddhistInnen und jeden Menschen so, wie sie es sich wünschen. Wir besprechen, was wir tun können, auch für die Zeit, in der die Begleiteten nicht mehr verbal kommunizieren können.

Mitgefühl entwickeln

Manchmal müssen wir uns auf unsere Intuition und Erfahrung verlassen, weil der andere, sich schon sehr nach innen zurückgezogen hat und nicht mehr mit der Außenwelt kommunizieren kann. Dann gilt es eine Atmosphäre von Wertschätzung, Achtsamkeit, Ruhe und Präsenz zu schaffen, damit der Kranke ungestört seinen Weg gehen kann. Achtsamkeit und Präsenz sind die Basis für Mitgefühl. Mitgefühl können wir trainieren wie einen Muskel. Wir haben im Buddhismus viele Meditationspraktiken, in denen wir uns mitfühlend auf schwierige Situationen vorbereiten können. Das ist mittlerweile auch in der Hirnforschung angekommen. Als ich letztens den Newsletter meiner Techniker Krankenkasse bekam und einen Artikel über die heilsame Wirkung von Meditation fand, staunte ich nicht schlecht.
Bis vor einigen Jahren wurden wir als Hospizdienst noch belächelt und galten als Exoten. Mittlerweile ist der nützliche Effekt von Meditation mitten in der Gesellschaft angekommen und wird mehr und mehr genutzt – auch von Nicht-BuddhistInnen.

miriam.pokora
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