Es ist ein Schnitter, der heißt Tod

ein Lied über den Sensenmann

Ein Lied aus dem Barock hat bis heute zahlreiche Menschen zur Vertonung angeregt. Es wird gesungen von Künstlern, in Chören, hat große Komponisten inspiriert. Es ist das „Schnitterlied“, von dem wir Ihnen eine gängige Variante als Text präsentieren. In zwei Videolinks finden Sie die konventionelle und eine moderne Lied-Präsentation. Lassen Sie sich zum Nachdenken anregen beim Hören der Lieder. Sie werden schnell zum Ohrwurm, das eine wie das andere. Wissenswertes haben wir für Sie kurz und knapp zusammengestellt.

Der Tod als brutaler Sensenmann? Das passt in ein Zeitalter, geprägt von konfessionellen Bürgerkriegen und bäuerlichem Leben. Die Macht der Fürsten und religiöser Fanatismus prägten das 17. Jahrhundert, das Zeitalter des Barock, in dem das Lied entstand. Das Weltbild war pessimistisch, auch nach dem Westfälischen Frieden 1648, der Religionsfreiheit brachte. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen war entstanden, ein föderativer Verband zahlreicher unabhängiger Einzelstaaten.

Welche Eindrücke prägten Menschen in dieser Zeit? Konfessionelle Gegensätze, die Grausamkeit des Krieges, Trauer, Hungersnöte, Seuchen, Adelsherrschaft ebenso wie die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit oder die Suche nach dem rechten Glauben und mehr. Das alles brachte der 30igjährige Krieg mit sich (1618-148).

Es war eine Umbruchzeit. Eine riesige Angst vor dem Tod, dessen Zugriff die Menschen in den grausamsten Formen unmittelbar vor der Haustür erlebten, zum Beispiel in Schlachten, Seuchen wie der Pest, die ganze Landstriche entvölkerte, sowie im Hungertod, trieb die Menschen um. Das Thema Vergänglichkeit stand im Mittelpunkt in bildender Kunst, Musik und Literatur ebenso wie in der Gesellschaft. Sollte man sich angesichts des nahenden Todes hemmungslos einem ausschweifenden Leben hingeben im Sinne des „carpe diem“ (Genieße den Tag) oder eher gottesfürchtig, asketisch und tugendhaft leben im Gewahrsein der Kostbarkeit jedes Augenblicks im Sinne des „memento mori“? (Erinnere dich des Todes). Darüber dachte man nach.

Auf diesem Hintergrund ist das „Schnitterlied“ zu verstehen. Der Tod kommt als Sensenmann und rafft alle Blumen mit messerscharfer Klinge dahin. Sie welken und verrotten. Der Sensenmann kommt mitten in der Blüte des Lebens, dann wenn man mit ihm nicht rechnet. Und er kommt zu jedem, ob arm oder reich. Der Sensenmann ist eine Allegorie, ein Sinnbild, für die Unausweichlichkeit und Unerbittlichkeit des Todes. Blumen werden zu Sinnbildern für die Menschen. Es gibt keine Ausnahmen. Der Sensenmann nimmt jeder Blume das Leben, den edlen und gemeinen, jedem Grashalm. Alle müssen ihr Schicksal erleiden, aber es gibt ein Weiterleben nach dem Tod. Die geschnittenen Gewächse werden für die irdischen Qualen mit dem Paradies belohnt, dem himmlischen Garten, der sie im Jenseits erwartet. Eine christlich geprägte Hoffnung wider die Angst. Es sind Bilder, die nicht nur im Frühbarock die Menschen einer überwiegend bäuerlichen Gesellschaft in Liedform mit Refrain ergreifen.

Das „Schnitterlied“ wird in einem Flugblatt im Jahr 1637 anonym verbreitet. Der ursprüngliche Text umfasst 17 Strophen. Wir haben eine gekürzte Fassung abgedruckt. Es gibt einige Varianten, die man in Aufzeichnungen von Achim von Arnim und Clemens von Brentano wieder finden kann. Das Lied war in katholischen Gesangbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts zu finden. Goethe meinte dazu, das Lied habe es verdient, auch protestantisch zu sein.

Sie finden unten die Links zu zwei Vertonungen, von denen es übrigens zahlreiche im Internet gibt. Die erste Vertonung enthält Aufnahmen des Lübecker Totentanzes aus der Marienkirche von Lübeck. Sie entspricht der Gesangbuchvariante des „Schnitterliedes“.

Die zweite ist eine moderne, sehr eigenwillige Interpretation mit einem Text, der von André Heller stammt, und einer musikalischen sowie filmischen Interpretation, die es in sich hat. Im Gegensatz zum barocken Lied, in dem der Tod erbarmungslos alle Gewächse mit seiner Sense dahinrafft, erscheint er im zweiten Lied als einer, der mit Erbarmen kommt. Dieser Tod ist anders. Er hat Hosen und Rock aus Apfelschalen dabei …  Bei der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies, wie sie im alten Testament beschrieben wird, spielt der Apfel eine bedeutsame Rolle. Weil Adam und Eva den Apfel vom Baum der Erkenntnis aßen, vertrieb Gott sie aus dem Paradies. Mit dem Sündenfall wurden beide sterblich. Das hieß: Bühne frei für den Tod …

Hellers Tod regt sowohl musikalisch als auch filmisch an zum Nachdenken. Die Präsentation öffnet neue Räume. Es ist Poesie. Viel Freude beim Goutieren!

 

Erndtelied

Katholisches Kirchenlied.

Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
Hat Gewalt vom höchsten Gott,
Heut wezt er das Messer,
Es schneidt schon viel besser,
Bald wird er drein schneiden,
Wir müssens nur leiden.
Hüte dich schöns Blümelein!

Was heut noch grün und frisch da steht,
Wird morgen schon hinweggemäht:
Die edlen Narcissen,
Die Zierden der Wiesen,
Die schön‘ Hiazinten,
Die türkischen Binden.
Hüte dich schöns Blümelein!

Viel hundert tausend ungezählt,
Was nur unter die Sichel fällt,
Ihr Rosen, ihr Liljen,
Euch wird er austilgen,
Auch die Kaiser-Kronen,
Wird er nicht verschonen.
Hüte dich schöns Blümelein!

Das himmelfarbe Ehrenpreiß,
Die Tulipanen gelb und weiß,
Die silbernen Glocken,
Die goldenen Flocken,
Senkt alles zur Erden,
Was wird daraus werden?
Hüte dich schöns Blümelein!

Ihr hübsch Lavendel, Rosmarein,
Ihr vielfärbige Röselein.
Ihr stolze Schwerdliljen,
Ihr krause Basiljen,
Ihr zarte Violen,
Man wird euch bald holen.
Hüte dich schöns Blümelein!

Trotz! Tod, komm her,
ich fürcht dich nicht,
Trotz, eil daher in einem Schnitt.
Werd ich nur verletzet,
So werd ich versetzet
In den himmlischen Garten,
Auf den alle wir warten.
Freu‘ dich du schöns Blümelein.

Anonymer Text,  Fliegendes Blatt 1637 – aus dem 30jährigen Krieg

 

Quelle: Achim von Arnim und Clemens von Brentano „Des Knaben Wunderhorn“, Volksliedsammlung 1805-1808,  Bd. 1,Kapt. 26 in:

http://gutenberg.spiegel.de/buch/des-knaben-wunderhorn-i-band-2385/26


Literaturangaben

Achim von Arnim und Clemens von Brentano „Des Knaben Wunderhorn“, Volksliedsammlung 1805-1808,  Bd. 1-3, s.o.

Es ist ein Schnitter in:

https://de.wikipedia.org/wiki/Es_ist_ein_Schnitter

Michael Fischer: Es ist ein Schnitter, heißt der Tod, 2008 in:

http://www.liederlexikon.de/lieder/es_ist_ein_schnitter_heisst_der_tod

 

Videolink

„Schnitterlied“ von André Heller, 1978, Video:

Eine Leseempfehlung:

Ein Quantum Trost aus der Mandschurei. André Hellers „Schnitterlied“ (1980)

 

 

Lisa Freund
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