Reden wir über das Sterben

Vermächtnis einer Ärztin und Patientin

Als die Ärztin Kathryn Schneider-Gurewitsch zum dritten Mal an Krebs erkrankte und ihr klar wurde, dass sie wohl nicht mehr lange zu leben hatte, begann sie, ihre Erfahrungen als Ärztin, die auch Patientin oder als Patientin, die auch Ärztin war, aufzuschreiben.

Ihr Buch, das sie selbst nicht mehr fertigstellen konnte, ist ihr Vermächtnis, geschrieben in der Hoffnung, damit dazu beizutragen, dass das Reden über Sterben und Tod selbstverständlicher wird und nicht mehr so tabubehaftet ist.

In den letzten Jahren sind etliche Bücher erschienen, die das Schweigen über diesen existenziellen Bereich unseres Lebens beenden wollen, aber ich kenne keines, das aus dieser zweifachen Perspektive und Kompetenz heraus geschrieben wurde. Bei jedem Satz merkt man, dass die Autorin ganz genau weiß, wovon sie spricht.

Als krebskranke Ärztin, die in den letzten zwei Jahren dreimal knapp dem Tode entkommen ist und sehr von den Segnungen der modernen Medizin profitiert hat, glaube ich, dass ich etwas zu sagen habe. Ich habe auch die Freiheit zu sagen, was ich denke, Themen zur Diskussion zu stellen, bei denen sonst meine Hände vor lauter Rücksichtnahme gebunden wären. Meine Überzeugung ist, dass wir alle Verantwortung übernehmen müssen: für unser Leben und für unseren Tod.

Um Verantwortung für das eigene Sterben und den Tod übernehmen zu können, ist es geboten, so die Autorin, sich frühzeitig „schlau“ zu machen. Und das bedeutet nicht zuletzt, eine Auseinandersetzung mit den eigenen Wertvorstellungen und Bedürfnissen, auch in ihrer ganzen Wandelbarkeit, zu führen. Kathryn Schneider-Gurewitsch sieht heute vor allem die Gefahr, dass Menschen durch die Möglichkeiten der modernen Medizin unnötig lang am Leben erhalten werden, ihnen dadurch unsägliches Leid zugemutet wird und sie um einen friedvollen Tod betrogen werden.

Ihr Buch ist ein Plädoyer für eine Selbstermächtigung der Patient*innen, die eigene Urteilskraft auch in Bezug auf mögliche Behandlungswege zu schärfen, um ärztliche Vorschläge nicht als alternativlose Urteile anzusehen, sondern als Empfehlungen, denen man folgen kann, aber nicht notwendigerweise muss, wenn man zum Beispiel ihre möglichen Konsequenzen als nicht mit dem vereinbar ansieht, was man für sich selbst als „gutes Leben und Sterben“ erachtet. Die Autorin appelliert an Ärzt*innen, eine größere Sensibilität für das eigene diesbezügliche Handeln und dessen Folgen zu entwickeln. So ist ihr Buch eine Einladung, sich den entscheidenden Fragen am Lebensende schon weit vor dem Lebensende zu stellen, damit man sich nicht auf einmal vollkommen überrollt und überfordert fühlt. Und es vermittelt dafür einiges Wissen.

Die Autorin beleuchtet die Bedingungen und Voraussetzungen eines „guten Sterbens“, sinnlose und nutzlose Therapien, die Möglichkeiten, die eigenen Wünsche als Sterbende auch gegen ärztliche Empfehlungen durchzusetzen, die Nöte von Patient*innen, Begleitenden und Ärzt*innen, den Wert von Patientenverfügungen, das weite Feld von Sterbehilfe, die Verquickung von Ethik und Ressourcen usw. Auch wenn sie sich selbst nicht als eine religiöse Frau versteht, plädiert sie sehr dafür, dass die spirituell-religiöse Dimension in der Begleitung Sterbender einbezogen und ihr, sofern gewünscht, Raum gegeben werden sollte.

Der klare Blick der Autorin, ihre schnörkellose Sprache, ihre Offenheit und ihre weite Perspektive haben mich von Beginn des Buches an sehr angesprochen. Spürbar wird auch die Liebe der Autorin zum Leben und zu den Menschen, insbesondere jenen, die schwerkrank sind und nach Orientierung suchen, aber auch sie selbst als Person in ihrem Ringen um ein eigenes „gutes Sterben“ wird lebendig. „Reden wir über das Sterben“, so ihre Aufforderung an die Leser*innen. Ihr Buch ermutigt und befähigt dazu, das, was unser aller gemeinsames Schicksal ist, mehr in den Blick zu nehmen und nicht wegzuschauen, bis es so nah vor uns ist, dass wir gar nichts mehr sehen.


Kathryn Schneider-Gurewitsch

Reden wir über das Sterben
Vermächtnis einer Ärztin und Patientin
Limmat Verlag, 2020

https://www.limmatverlag.ch/programm/titel/878-reden-wir-ueber-das-sterben.html

 

Ursula Richard
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