Johann Wolfgang von Goethe: Elysium

Goethe,1749 in Frankfurt geboren und 1832 in Weimar gestorben, ist wohl der berühmteste deutsche Dichter der Klassik. Für ihn ist das Elysium eine Erfahrung von Glückseligkeit, die nicht mehr von dieser Welt ist, ein Spiel der Schöpfung, das Gefühl eines himmlischen Kusses, der auch irdisch sein kann …

 

Johann Wolfgang von Goethe
Elysium

An Uranien.[1]Uranien: Musen der Sternenkunde (Astronomie), Urania, die Muse des Fixsternhimmels, erhielt in der Spätantike im Rahmen der Sphärenharmonielehre (Pythagoras) den höchsten Ton

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium!
Wie du das Erstemal
Liebahnend dem Fremdling
Entgegentratst
Und deine Hand ihm reichtest,
Fühlt‘ er alles voraus,
Was ihm für Seligkeit
Entgegen keimte!
Wie du den liebenden Arm
Um den Freund schlangst,
Wie ihm Lila’s [2]Lila (u.a. weiblicher Vorname) aus dem Sanskrit (Leela): Spiel, Belustigung. Im Hinduismus steht Lila für das Spiel mit der göttlichen Kreativität/Schöpfung und ihren Erscheinungen als Ausdruck … Continue reading Brust
Entgegenbebte,
Wie ihr, euch rings umfassend,
In heil’ger Wonne schwebtet,
Und ich, im Anschaun selig,
Ohne sterblichen Neid
Daneben stand!
Wie durch heilige Thäler wir
Händ‘ in Hände wandelten,
Und des Fremdlings Treu
Sich euch versiegelte,
Daß du dem Liebenden,
Stille Sehnenden,
Die Wange reichtest
Zum himmlischen Kuß!
Wenn du fern wandelst
Am Hügelgebüsch,
Wandeln Liebesgestalten
Mit dir den Bach hinab;
Wenn mir auf meinem Felsen
Die Sonne niedergeht,
Seh‘ ich Freundegestalten
Mir winken
Durch wehende Zweige
Des dämmernden Hains;
Seh‘ ich, verschlagen
Unter schauernden Himmels
Oede Gestade,
In der Vergangenheit
Goldener Myrtenhainsdämmerung
Lila’n an deiner Hand;
Seh‘ mich Schüchternen
Eure Hände fassen,
Bittend blicken,
Eure Hände küssen –
Eure Augen sich begegnen,
Auf mich blicken;
Werfe den hoffenden Blick
Auf Lila; sie nähert sich mir,
Himmlische Lippe!
Und ich wanke, nahe mich,
Blicke, seufze, wanke –
Seligkeit! Seligkeit!
Eines Kusses Gefühl!
Mir gaben die Götter
Auf Erden Elysium!
Ach, warum nur Elysium!

 

Quelle: Johann Wolfgang von Goethe, Elysium, Gedichte, II Theil, Phillipp Reclam jun., Leipzig 1885, S. 14-15.

Worterklärungen hinzugefügt von elysium.digital.

 

Lisa Freund
Letzte Artikel von Lisa Freund (Alle anzeigen)

Fußnoten[+]

Das könnte dich auch interessieren …

Eine Antwort

  1. 4. Dezember 2016

    […] Johann Wolfgang von Goethe: Elysium […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert