Schnitzlers Facetten der menschlichen Psyche

Rezension zu Arthur Schnitzlers "Ein Abschied"

Wie das Thema Abschied Leib und Seele ergreift, innerlich erlebt und gefühlt wird, das können Leser dieser kurzen Erzählung von Arthur Schnitzler (1861-1931) spüren. Sie können den Text hier lesen.

Ein alleinstehender Herr erwartet in seiner Wohnung die schöne, junge Geliebte Anna, jeden Tag, Woche für Woche. Sie ist verheiratet, Gattin eines wohlhabenden Mannes. Niemand darf von der leidenschaftlichen Affaire etwas wissen. Anna kann es in der Woche öfter einrichten, kürzer oder länger und  heimlich zum Geliebten zu gehen, manchmal für Minuten, manchmal auch länger. Albert verbringt sein Leben in leidenschaftlichem Begehren, wartet  den ganzen Tag und kommt zu nichts.  Er geht nur abends aus. Eines Tages kommt Anna nicht mehr. Albert erfährt, dass sie sehr krank ist, und geht zu ihrem Wohnhaus. Es gibt eine letzte Begegnung mit Anna der besonderen Art.

Eindrücklich beschreibt Schnitzler in der Ich-Perspektive, ganz aus der Sicht des Geliebten, dessen Sehnsucht, das Hadern, sein Schwanken zwischen Hoffnung und Furcht, seine Projektionen und Wünsche, die Enttäuschung und Wut, seine Gedankenspiele und schließlich seinen Schmerz, die Trauer über den Verlust der Geliebten, den Abschied von ihr. Das innere Erleben reißt die Leserin mit, wirkt wie ein Sog, der hineinzieht in eine Innenwellt, die auch mit Erfahrungen der Leserin in Resonanz geht. Es ist ein spannender Prozess, sehr suggestiv, den ich faszinierend finde. Alles spielt sich im Inneren von Alberts Gedankenwelt, seiner Seele ab, die äußere Handlung bildet dafür nur den Rahmen. Das Erleben von Begehren und Abschied in seiner Vielfalt und Tiefgründigkeit wird intensiv und lebendig beschrieben. Es geht um Liebe und Tod, den Eros als Träger einer Botschaft, die über das Begehren hinaus weist und das Loslassen lehrt, wild, bittersüß und kraftvoll. Als Eros auf den Tod trifft, bricht eine Welt zusammen und etwas Neues entsteht.


Arthur Schnitzler, Ein Abschied
veröffentlicht in: Neue Deutsche Rundschau in Berlin, 2. Februar 1896 in: Die Frau der Weisen, Noveletten Sammlung, S. Fischer Verlag, 1898.

Lisa Freund
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