„Hinter dem Horizont geht es weiter …“

Miriam Pokora berichtet: So sieht eine Begleitung aus

Miriam Pokora beschreibt, was sie als Koordinatorin in einem buddhistisch orientierten Hospizdienst in Berlin tut. Sie erhalten Einblicke in die ambulante Hospizarbeit. Es wird ein Netzwerk aufgebaut, das die ganze Familie unterstützt, und zwar über den Tod hinaus. Ehrenamtlichen MitarbeiterInnen ebenso wie Profis werden mit ins Boot geholt. 

Es ist Sommer. Ich erhalte einen Anruf von Herrn M., einem schwer an Magenkrebs erkrankten Familienvater mit zwei Kindern im Alter von sechs und acht Jahren. Herr M. macht sich Sorgen, weil er nicht weiß, wie es weitergehen soll. Das Krankenhaus hat ihm mitgeteilt, dass er keine Heilungschancen mehr hat und ihm eine Liste mit Hospizdiensten gegeben. Er ruft bei uns an, weil er den Namen unseres ambulanten Hospizes „Horizont“ sympathisch findet.

Herr M. erzählt, dass er noch Hoffnung habe. Hinter dem Horizont geht es weiter, sagt er, und lacht. Kurz darauf versagt ihm die Stimme. Ich höre, wie er mit den Tränen kämpft, und biete ihm an, ihn im Krankenhaus zu besuchen. Wir können dann gemeinsam schauen, was ihm und seiner Familie jetzt hilft. Der Sozialdienst des Krankenhauses hat bereits einen palliativen Pflegedienst und eine Palliativmedizinerin kontaktiert. Diese werden helfen, Herrn M. zu Hause pflegerisch und medizinisch versorgen.

Am nächsten Tag besuche ich Herrn M. – wie verabredet –  in einer Kreuzberger Klinik. Vor mir steht ein hochgewachsener und zugleich ausgezehrter Mann, der sich trotz seiner erst 46 Jahre, am Rollator abstützt. „Ich bin zu wacklig auf den Beinen“ sagt er. Wir setzen uns in eine ruhige Ecke. Er erzählt mir von seinen Kindern und seiner Frau. Mit Ihnen möchte er die letzte Lebenszeit verbringen. Andererseits höre ich heraus, dass er Angst hat ihnen zur Last zu fallen. Er befürchtet, die Kinder können mit seinem Sterben nicht umgehen.

Wir vereinbaren während des Gesprächs, dass ich ihm auf seinen Wunsch hin einen männlichen Begleiter aussuche, von dem ich denke, er passt gut zu Herrn Ms. Persönlichkeit und seinen Wünschen. Der Begleiter soll ein Mal in der Woche kommen. Das Wohlergehen der Familie wollen wir im Blick behalten. Ich biete an, dass alle sich jederzeit melden können. Es ist Herrn Ms Wunsch, sich mit seiner Erkrankung mit einer Person, die von außen kommt, auseinanderzusetzen. Er möchte seine Frau nicht auch noch mit seinen Problemen belasten. Sie habe schon genug mit den Kindern und seiner Pflegebedürftigkeit zu tun. Er äußert außerdem das Interesse, mal irgendwas mit Meditation auszuprobieren, weil er hofft, dass hierdurch sein Gedankenkarussell zur Ruhe kommt.

Nach dem Gespräch rufe ich Matthias an, erzähle ihm von Herrn M. und seinen Bedürfnissen. Matthias hat im Moment die zeitlichen Kapazitäten, um die Begleitung übernehmen zu können, und freut sich über seine Aufgabe. Die beiden verabreden ein erstes Kennenlernen. Sie schauen ob die „Chemie“ stimmt. Nach diesem ersten Treffen, ist für beide klar, dass es gut passt. Sie treffen sich nun regelmäßig. Nach einigen Wochen ruft mich Matthias an. Er berichtet, dass er gerne zu Herrn M. geht, viel mit ihm spricht und mit ihm die Kraftquellenmeditation nach Lisa Freund übt. Das tut Herrn M. gut. Matthias hat aber ein Problem. Wenn er klingelt, dann öffnet Frau M. die Tür. Er kommt meist eine lange Zeit nicht aus dem Flur weg, weil Frau M. ihm dann ihr Herz ausschüttet. Sie ist verzweifelt und überfordert, denn ihr Mann verschließt sich vor ihr.

Ich besuche die Familie anschließend zu Hause und lerne Frau M. und die Kinder kennen. Es kristallisiert sich heraus, dass Frau M. auch gerne eine ehrenamtliche  Begleiterin zum Reden hätte. Außerdem erfahre ich, dass ein Kind nun ständig ins Bett macht. Das andere Kind ist schlechter in der Schule geworden. Es geht auch darum, wie man mit den Kindern die Situation besprechen kann, damit sie wissen, was los ist und die Fehler für die angespannte Stimmung zu Hause nicht bei sich suchen. Nach zwei Wochen haben wir geholfen, die häusliche Situation etwas zu stabilisieren. Wir haben eine Ehrenamtliche für Frau M. gefunden. Für die Kinder  haben wir professionelle Hilfe mit ins Boot geholt. Tatjana, die ehrenamtliche Helferin, kümmert sich nun zwei Mal in der Woche um Frau M. Es gibt entlastende Gespräche, in denen es viel darum geht, wie sich nun der Alltag verändert hat. Tatjana hilft auch dabei einige Anträge für das Sozialamt auszufüllen. Dadurch, dass Herr M als Hauptverdiener ausgefallen ist, ist die Familie in finanzielle Nöte geraten und braucht staatliche Unterstützung. Auch hierzu habe ich im Vorfeld Informationen eingeholt und beraten.

Als Herr M. wenige Wochen später stirbt, sagt mir Frau M., dass es ein „guter“ Tod war – ganz ruhig. Ihr Mann hatte keine Schmerzen. Tatjana hat Frau M. zum Bestattungsinstitut begleitet. Frau M. wollte vor der Beerdigung noch einmal Abschied von der Leiche ihres Mannes nehmen. Nach der Beerdigung bleibe ich noch eine Weile mit der Familie in Kontakt. Ich vernetze sie mit weiteren Hilfsangeboten.

In der Zeit der Begleitung bin ich immer wieder mit den Ehrenamtlichen telefonisch und persönlich im Gespräch. Neben all dem Schweren, gibt es auch viel Schönes und tiefe Dankbarkeit auf beiden Seiten.

miriam.pokora
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