Hoffnung und Zuversicht haben viele Gesichter

Wenn das Leben zu Ende geht ...

Wernher von Braun (1912 – 1977)
(deutscher und US-amerikanischer Raketeningenieur, Wegbereiter der Raumfahrt)
Die Wissenschaft hat festgestellt,
dass nichts spurlos verschwinden kann.
Die Natur kennt keine Vernichtung nur Verwandlung.
Alles, was Wissenschaft mich lehrte,
verstärkt meinen Glauben
an ein Fortdauern unserer
geistigen Existenz über den Tod hinaus.

Die letzte Lebensphase ist eine schwierige und hochsensible Zeit. Wir erleben, was es heißt, Abschied zu nehmen, von einem Menschen, von Beziehungen von Weltanschauungen, der Gesundheit, vom Körper. Ich bin Menschen begegnet, die bis zum letzten Moment auf Besserung, auf ein Wunder hofften, das sie wieder gesund machen sollte. Das war nicht vom Alter abhängig. Hoffnung und Zuversicht hat viele Gesichter. Nicht alles sieht auf den ersten Blick danach aus. Doch wer kann sich erlauben zu urteilen? Jeder Mensch ist anders, jeder geht den letzten Weg auf seine ganz persönliche Weise. Es zählt, was für den stimmt, der geht.

Ich erinnere mich an eine junge Frau, die lebensbedrohlich erkrankt ist. Nora ist erst 31 Jahre alt. Sie hat ihre letzte Chemotherapie eine Stunde vor dem Tod. Dabei geht es nicht vorrangig um ihren Körper, sondern Noras Seele braucht die Chemo. Während die Medizin in ihre Vene tropft, ist Nora guter Dinge, voller Optimusmus. Sie hat das Gefühl, etwas Sinnvolles für sich zu tun. Die Chemo gibt ihr Hoffnung. Die andere Seite, die von Angehörigen mit Verzweiflung und Kopfschütteln kommentiert wird, ist: Nora ignoriert bis zum Schluss, dass sie sterben wird. Warum? Noras Angst vor dem Tod ist unermesslich groß. Sie klammert alle Themen, die mit dem Sterben, dem Abschied von dieser Welt zu tun haben, aus, erlaubt nicht, darüber zu sprechen. Ihrem Lebenspartner bricht dabei fast das Herz. Er weiß nicht, wie er mit seinen Gefühlen umgehen soll, sucht nach Wegen, wie er sich von Nora verabschieden kann. Er kann öfter die Fassung nicht bewahren. Wenn er weinen muss, flieht er aus dem Krankenzimmer. Nora erträgt ihn dann nicht, kann gar nicht hinschauen. Sie sagt: „Die Chemotherapie zählt. Sie hilft mir. Er muss sich eben zusammen nehmen.“ Die Therapie ist für sie ein gewohnter Ablauf. Nora erhält währenddessen Fürsorge und Zuwendung. Eine Krankenschwester kümmert sich um sie. Der Aufwand ist groß, die Therapie kostet viel. Nora empfindet: „Ich bin etwas wert und es gibt noch eine Chance.“ Daran hält sie sich fest in einer bodenlosen Situation.

Es zählt, was die Seele braucht

Der behandelnde Palliativmediziner weiß, was er tut. Er hilft ihrer Seele, nicht ihrem Körper. Der Tod klopft leise an Noras Tür, kommt einfach und sanft, kurz nach der letzten Infusion, während die Gedanken der Kranken um das Thema Heilung kreisen. Wer weiß, ob nicht die Heilung auf einer inneren Ebene eintritt? Für Nora kommt der Tod fast unbemerkt mitten im Leben. Er geschieht aus der Erschöpfung heraus. Da gibt es wenig Widerstand. Nora lässt alles geschehen. Es geht nicht anders. Der Körper hat das Sterben vollzogen, unterstützt von palliativer Symptomkontrolle.

Für die Familie ist es tröstlich, dass Nora entspannt und in Frieden gestorben ist. Alle sind dankbar für die wunderbare medizinische und pflegerische Betreuung. Schmerzlich ist für die Angehörigen, dass es keinen runden Abschied gab, was die Trauer erschwert, denn es war nicht möglich mit Nora all das zu besprechen, was der Familie am Herzen lag.

Von innen heraus verstehen

Wer von uns kann schon sagen, ich nehme ihn an, den Tod, wenn er zu mir kommt, anders als Nora. Wir wissen nicht, wie wir denken oder handeln werden, wenn wir sterben. Bewertungen sind eine prekäre Angelegenheit. Sie enthalten Urteile. Besser als zu urteilen, ist der Versuch zu verstehen, warum eine Frau wie Nora so handelt, wie sie es getan hat. Was ist Noras innere Antriebskraft? Sich in eine kranke Person hineinzuversetzen, kann helfen, mit ihren Empfindungen in Berührung zu kommen, sie von innen heraus zu verstehen. Stellen Sie sich vor, Sie liegen im Bett, haben den Körper der Kranken, ihr Leiden. Einfühlung führt zu Einsichten, hilft, zu verstehen und Mitgefühl zu entwickeln.

Der Tod kommt als Erlösung

Anders als Nora sehnt Sven sich nach Erlösung. Er ist des Lebens überdrüssig, heißt den Tod willkommen. Sven bittet um eine hohe Dosierung von Medikamenten gegen die Symptome in den letzten Lebenstagen. Er will, dass sich sein Bewusstsein eintrübt vor dem Tod. Er möchte schöne Träume haben und dabei entschlafen. Auf diese Weise kann er das Leben gut loslassen. Das ist eine andere Art von Zuversicht. Er vertraut darauf, dass mit dem Tod alles für immer aufhören wird. „Ich will nicht mehr leiden. Das ist für mich genug. Ob es weiter geht? Das weiß ja keiner. Da denke ich nicht drüber nach.“ Den Tod findet Sven besser, als mit der unerträglich gewordenen Krankheit und dem Zerfall seines Körpers weiter zu leben. Er erträgt es kaum, das Angewiesensein auf Pflege, Behandlung, Fürsorge. So lädt er den vermeintlichen Feind ein, sagt dem Tod: „Nun hole mich endlich. Es ist genug!“ Damit das klappt, will er eine Medizin, die ihm hilft, friedlich aus dem Leben zu gehen.

Lockende Visionen

Wieder andere geben auf und wollen in Gottes Reich eingehen oder ihre ganz persönliche spirituelle Vision vom Leben nach dem Tod verwirklichen. Sie bereiten sich vor, beten, meditieren, sprechen über ihre Bedürfnisse. Sie wollen das alte Kleid ablegen und mit der Seele in neue Dimensionen aufbrechen. Sie wollen endlich erlöst sein von allem, was das Menschenleben ausmacht. Zuversicht zeigt sich hier als die Hoffnung auf etwas Großes, Schönes, Weites, eine neue Erfahrung, die kommen wird, und zwar im Jenseits. Das hilft sehr beim Loslassen der Gesundheit und des Lebens. Der Tod ist für diese Menschen der Ausgangspunkt für eine Seelenreise, an die sich Erwartungen heften, freudige. Sie leisten kaum Widerstand, denn sie hadern nicht mit dem Schicksal.

Alles nehmen, wie es kommt

Es gibt auch Menschen, die mit einer Portion Wurstigkeit oder Urvertrauen an das eigene Sterben herangehen. Sie leben eben, bis nichts mehr geht, dann kümmert sich schon wer, die Kasse zahlt, was nötig ist, und irgendwann ist eben Schluss. Bis dahin erledigt man alles, was ansteht, nimmt die Dinge, wie sie kommen, macht keine anstrengenden Zukunftspläne mehr und freut sich über entspannte Augenblicke. Komplizierte Gespräche werden nicht geführt. Es wird nicht mehr geplant. Die Haltung ist pragmatisch. Kurz vor dem Tod sorgt Siegfried noch dafür, dass die Heizkostenabrechnung losgeschickt wird, weil die Finanzen in Ordnung sein müssen. Die Zuversicht liegt im Vertrauen in den natürlichen Ablauf der Dinge bis zuletzt, beispielsweise in den Kreislauf der Natur, von der man ein Teil ist.

Vom Sinn palliativer Begleitung

Es gibt heute genügende Medikamente, die neben der Kontrolle der körperlichen Symptome, vor allem der Schmerzen, auch Ängste und Emotionen beruhigen und helfen, Körper und Geist zu entspannen. Kommen liebevolle Pflege und Fürsorge für die Kranken vom Palliativteam und den Angehörigen dazu, steigt das innere Wohlbefinden am Lebensende. Dann kommt bei einigen Menschen die Lebenslust zurück, auch noch in den letzten Tagen. Neuere palliativmedizinische Studien belegen, dass ein Mensch in palliativ-medizinscher Begleitung nicht nur einige Wochen länger lebt, sondern er die letzte Lebenszeit sinnvoll findet,  im Unterschied zu Menschen, denen diese Fürsorge nicht gegeben wird. Das kann auch eine Zuversicht bewirken: Das Vertrauen in die Kompetenzen palliativer Betreuung. Pflegerisch und palliativmedizinisch gut versorgte Patienten haben meist eine hohe Lebensqualität bis zuletzt. Es gibt also gute Gründe, sich den persönlichen Platz am Lebensende mit Unterstützung des palliativen Netzwerks vor Ort zu suchen und ihn bedürfnisgerecht zu gestalten, wenn die Zeit gekommen ist. Es lohnt sich natürlich sich vorher Gedanken zu machen, nicht erst, wenn nichts mehr geht.

Es geht ums Vertrauen

Zuversicht und Hoffnung basieren bei den Sterbenskranken, von denen ich berichte, auf Vertrauen, sei es in eine Therapie, einen Glauben oder eine Vision vom Leben nach dem Tod, in den Kreislauf der Natur oder in die palliative Versorgung. Vertrauen hebelt Angst aus. Es gibt Kraft. Die oben beschriebenen Einstellungen sind Geisteshaltungen, die unterschiedliche Bezugspunkte haben. Sie wirken sich aus auf den Umgang mit den Tod, die zwischenmenschlichen Beziehungen, das eigene Wohlbefinden und das besonders in der letzten Lebenszeit. Macht es nicht Sinn rechtzeitig, darüber nachzudenken: Gibt es etwas, worauf ich vertraue, wenn das Leben zu Ende geht? Wie kann ich das Vertrauen in mir wachsen lassen? Was brauche ich? Was können andere für mich tun? Wie kann ich loslassen?

Die Besinnung auf  innere Ressourcen, Kraftquellen, die mir beim Verlassen des Körpers helfen, könnte ein Weg sein. Was mich durch den Tod tragen wird, trägt mich auch im Leben. Es lohnt sich genauer hinzuschauen: Was hilft mir in Krisen? Erkenntnis ist die Basis, um etwas zu ändern, das Denken, Entscheidungen, Haltungen, das Handeln. Wir sind geistige Wesen in einem menschlichen Körper. Sollten wir nicht unser Denken, unser Bewusstsein schon im Leben ein wenig vorbereiten auf den Wandel, der am Ende kommen wird? Das Leben geht womöglich weiter, wenn der Körper aufhört zu existieren. Auch wer nicht daran glaubt, kann sich vorbereiten und Wege finden das natürliche Ende anzunehmen, weil es eben so ist, dass jeder stirbt, also gilt das auch für mich, oder?


Hier können Sie sich über Angebote in der palliativen Versorgung in Deutschland informieren:

http://www.wegweiser-hospiz-und-palliativmedizin.de/angebote/erwachsene

Lisa Freund
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