Paul, der Klinikclown – das Spielbare suchen

Aus der Ohnmacht in die Kommunikation kommen

Paul Kustermann ist Klinikclown, Humorexperte und Kommunikationstrainer. Er bietet zahlreiche Weiterbildungen an, wie z.B. „ClownLabor“ und „Humor in der Pflege“.

Wie war Dein Weg zum Klinikclown?

Es kam zuerst per Zufall. Als Teil unserer Tourneen in den 70er Jahren machten wir regelmäßig auch ehrenamtliche Abstecher in soziale Einrichtungen. Eine davon war eine Behinderten-Werkstatt, mit der wir eine Sommer-Olympiade veranstaltet haben. Daraus entstand ein Kontakt zu einer stationären Psychiatrie, die ich dann einige Jahre lang quartalsmäßig besucht habe. Die Erfahrung, als Künstler in so eine stationäre Einrichtung eingebunden zu sein, war auf eine besondere Art und Weise bereichernd. Jahre später, als ich sesshaft in Berlin wurde, kam diese Idee noch mal auf zwischen mir und drei Kollegen. Das wurde dann zu einer der drei Keimzellen, aus denen die Klinikclown-Bewegung in Europa gewachsen ist.

Wie wird man Klinikclown? Gibt es eine Ausbildung und wie lange dauert diese?

Eine standardisierte Klinikclown-Ausbildung, beziehungsweise eine anerkannte, berufliche Zertifizierung gibt es derzeit nicht. Die heute bereits etablierten Klinikclown-Organisationen, wie etwa ROTE NASEN, Clown Doktoren, Kliniclowns, Le Rire Medicin rekrutieren Clowns, die bereits erfahrene Künstler sind, und bilden sie weiter aus für die spezielle Arbeit in therapeutischen Einrichtungen, entsprechend dem Profil der jeweiligen Organisationen (z. B. Pädiatrie, Senioren, Psychiatrie, Reha, Hospiz, Wachkoma, Flüchtlingsunter­künfte). Teilweise ist dieser Prozess schon sehr anspruchsvoll und beinhaltet eine eigene organisationsinterne Zertifizierung. Bei den ROTE NASEN zum Beispiel entspricht diese in etwa einem Bachelor in Performing Arts mit Schwerpunkt auf therapeutischem Performing. Sonst ist der Weg zum Künstlerwerden immer noch vorwiegend ein autodidaktisches Unterfangen und dauert ein Leben lang. Auch wenn man so alt wird wie eine Kuh, man lernt immer noch dazu!

Was ist der Unterschied zwischen Zirkusclown, Klinikclown und Horror-Clown?

Die Begegnung mit einem „Horror-Clown“ hat kaum etwas mit Kunstformen wie Zirkus oder Humortherapie zu tun. Für den Zirkus kaufe ich mir ein Ticket und begebe mich freiwillig in die Begegnung mit einer Welt, die mir fremd ist, vor der ich vielleicht sogar Angst haben mag. Im Krankenhaus kommen Clowns und fragen mich, ob ich besucht werden möchte, ob ich vielleicht sogar Lust auf einen kleinen Schrecken hätte, nur so als Spiel und ermunternder Kontrast zum öden Alltag. Der Unterschied ist die Freiwilligkeit der Begegnung, die auf Gegenseitigkeit beruht. Der Horror ist, wenn diese gegenseitige Freiwilligkeit nicht mehr geboten ist. Wenn man überfallen wird und keine Wahl hat, sich darauf einzulassen.

Außerdem eignet sich jedes Heiligtum, jeder Archetyp, jede scheinbare Wahrheit dazu, infrage gestellt zu werden. Das ist natürlich und gesund. Es liegt dann auch nahe, dass diese Dinge eine große Kraft haben, die auch zu Missbrauch einlädt – allein wegen des Schock-Effekts, um sogar eine mögliche Übermacht zu gewinnen. Ich glaube aber, dass der gesunde Menschenverstand sehr gut unterscheiden kann zwischen einer zerstörerischen, bedrohlichen Intention und einer ernst gemeinten, wohlwollenden Provokation. Gewissermaßen mögen wir es als Menschen überrascht und erschreckt zu werden. Wenn aber ein Psychopath vor uns steht, verkleidet als eine Teufels-Karikatur des Papstes, kommen wir nicht ins Straucheln mit unserem Glauben an die Kirche. Im Gegenteil, wir holen gerade aus der Kraft dieser Archetypen die Orientierung, die wir brauchen, um mit der Bedrohung zurecht zu kommen. Daher sehe ich mich als Clown nicht in Konkurrenz mit Horror-Clowns, sondern eher darin bestätigt, dass der Archetyp Clown eine große Kraft hat.

Hilft Dir das Clownsein auch in Deinem Alltag, zum Beispiel in Beziehung zu nahestehenden Menschen und beim Einkaufen?

Beim Einkaufen brauche ich keine besondere Hilfe, außer vielleicht die Liste, die ich dummerweise öfters in meiner Küche vergessen habe. Wobei die Rolle des Clowns mir im Alltag hilft? Das ist in der Bewältigung von Krisen oder schweren Konflikten. In einer gesunden Normalität sind Freude und Leichtigkeit und Humor selbstverständlich. Besonders wenn ein Grundvertrauen vorhanden ist. Darum lacht man am leichtesten unter Freunden. Wenn man aber in Konflikte gerät, verliert man den Humor und regrediert in die primitivsten Urmuster von Flucht oder Verteidigung. Man gerät schnell in eine Kampfeshaltung, welche natürlich zu Eskalation und Verlusten führen kann. Hier hilft die Lehre des Clowns enorm. In Krisen kann der Clown vor allem eines ganz besonders: Er weiß, wie man sich helfen lässt. Der Clown gibt nie auf, eine wohlwollende Haltung zu bewahren und die Hoffnung, es könnte etwas Gutes bei dem sein, was gerade passiert. Dies ressourcenorientierte Bereitschaft, aus der Ohnmacht in die Kommunikation zu kommen, ist Gold wert. Man gewinnt Abstand zu den Problemen und bleibt in einem Spielmodus, der immer wieder neue Perspektiven eröffnet.

Was können wir für unseren Alltag von Dir beziehungsweise vom Clown lernen?

Den Wert des Spielens zu erkennen und sich Werkzeuge dazu zu eigen zu machen. In guten wie in schlechten Zeiten das Spielbare zu suchen, um sich daraus immer wieder neue Perspektiven zu erschließen. Das hilft in der Beziehungsgestaltung, in der Förderung von Kreativität, in der Krisenbewältigung und Kommunikation, aber auch massiv in der Bewahrung der eigenen Psycho-Hygiene.

Wie begegnest Du in der Clownssprechstunde Menschen in der letzten Lebensphase?

So normal wie möglich. Neugier hilft dabei ebenso wie natürlich auch Respekt. Aber die Normalität ist vielleicht das Wohltuendste, was man leisten kann – nicht nur für die Betroffenen sondern auch für sich selbst. Wenn ich als „gesunder“ Mensch jemanden in einer Krise „normal“ begegne, dann fühlt dieser Mensch sich auch ein Stück weniger absonderlich und auch weniger allein mit seinem Problem. Im Spiegel der Normalität fühlt er sich auch normal und wert geschätzt. Diese Annahme war vom Anfang an unser Ansatz in der Begegnung mit Menschen, die an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leiden. Wir arbeiten nicht gegen die Krankheit sondern für das Gesunde in uns.

Hast Du ein Beispiel für eine Begegnung, die Dich besonders berührt hat?

Ein achtjähriger Junge lag im Sterben am Tag unserer Visite. In der Übergabe hieß es, wir sollten das Zimmer nicht besuchen. Die Eltern waren da mit dem Kind und aus Respekt, dachten die Schwestern, wäre es besser, die Familie einfach in Ruhe zu lassen. Als wir soweit waren, versuchten wir auf Zehenspitzen an dem Zimmer vorbei zu schleichen, aber die Tür war ein Spalt offen und die Eltern sahen uns und lächelten und sie luden uns natürlich ein, den Jungen zu sehen. Wir gingen also entgegen unserer Anweisung ins Zimmer. Der Junge schien schon ganz weit weg zu sein, aber als er uns sah, ging ein Licht in seinen Augen auf und er hob seine Hand zum Gruß. Wir machten mit ihm den Hand-Klatsch, den wir immer zur Begrüßung und zum Abschied genutzt haben. Er drückte seine Hand gegen unsere und lächelte und schloss wieder die Augen. Ich drehte mich dann um und sah, dass die Eltern lächelten und weinten. Wir standen noch eine ganze Weile da und hielten uns mit den Eltern die Hände, bis wir das Gefühl hatten, jetzt ist gut. Im Gehen klatschten wir auch den Eltern in die Hände und im Gegenzug drückten sie uns ganz fest. Wir gingen, wie wir kamen, waren etwas zwischen den Welten, nicht wissend, was am besten zu tun sei, aber offen für das Spielbare, offen für jede Hilfe, um diese Situation zu bewältigen. Draußen drehten wir uns um und die Eltern winkten uns zu. Sie lächelten und weinten. Ihre Tränen fühlten sich erlösend an für mich; als würden der Schmerz und die Freude um die Freundschaft und all die Erinnerungen an gute Zeiten miteinander – ineinander fließen. Es war, als würden die Tränen das alles von den Augen waschen und erlösen. Der Abschied war markiert. Die Zeit des Zusammenseins wich einer Zeit der natürlichen Ewigkeit. An den Jungen und seine Familie werden wir uns nun immer erinnern. Er starb kurz darauf und seine Familie haben wir nie wieder gesehen. Dennoch stehen sie noch alle, wie gestern, vor meinem geistigen Auge, obwohl das fast 20 Jahre her ist.

Wie stellst Du Dir Dein eigenes Sterben und Dein Begräbnis vor (natürlich nur, wenn Du darüber schreiben möchtest)?

Ich habe mir eine Mariachi-Band gewünscht und hoffe, meine Freunde können feiern und im Abschied sowas wie Dankbarkeit für das Wertvolle im Sein aufleben lassen. Es kommt natürlich ganz darauf an, wie lange das noch bis dahin ist und wie viele Freunde überhaupt noch da sind und welche Ansprüche an mich noch offen sind. Aber im Großen und Ganzen hoffe ich, dass mein Ableben ein Anlass zur Freude und Dankbarkeit und Zufriedenheit sein wird. Natürlich wird auch gelacht wie geweint. Das ist einfach so.


www.paulkustermann.de

Harald-Alexander Korp
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