Sterbende begleiten

Hinweise in Stichpunkten von Lisa Freund

Die Begleitung bis zum Lebensende enthält etliche ungewohnte Herausforderungen. Der Tod steht für das Unberechenbare. Wir streben nach Sicherheiten. Beides kommt selten zusammen. Hier finden sie in Stichpunkten kleine Hinweise, die helfen können, füreinander da zu sein, wenn das Leben zu Ende geht. An jedem hängt ein großes Thema. In Elysium.digital können Sie mehr Informationen, Hinweise finden. Stöbern Sie mal in unserem Menue. Im Text unten geht es um Kommunikation und wie Sie sich  innerlich vorbereiten können auf den Besuch eines Sterbenskranken, was hilft, was schadet. Ein Thema ist die Mitwirkung an der Gestaltung der Atmosphäre im Krankenzimmer, ein anderes, was Sie tun können, wenn ein Mensch im Koma liegt oder welche Tools es gibt, bis hin zu spirituellen, um am Frieden und der Versöhnung zu wirken. Im Fokus haben wir die achtsame und mitfühlende Begleitung auf Augenhöhe.

IMG_8118-k-1Kommunizieren

Finde heraus, was dem Kranken gut tut. Wenn nötig, hilf ihm, das zu realisieren.

Entwickle deine Sensibilität für euer Verhältnis von Nähe und Distanz und das immer wieder neu.

Erkenne, wann es Zeit ist zu gehen.

Interessiere dich für die Biographie des Kranken, erfrage sie, sprich mit ihm darüber. Entdeckt gemeinsam die Fülle seines Lebens. Suche und finde den Schatz, den er in sich trägt, und zeig ihm deine Wertschätzung für das, was ihr miteinander teilt.

Schaut gemeinsam Photos, Zeichnungen an, redet über Erlebnisse, die damit verbunden sind. Rege zu kreativen Ausdrucksformen an, die sich eignen..

Unterstütze, wenn es sinnvoll ist, bei der Rückschau auf das Leben. Hilf eine Lebensbilanz zu ziehen.

Ermutige den Sterbenskranken, seine Geschichten zu erzählen. Vielleicht zeichnest du sie auf oder schreibst sie auf. Dies kann auch für die Familie als Erinnerung wertvoll sein.

Schreib mit dem Sterbenskranken Briefe, überbringe seine Mitteilungen oder bring die von Freunden mit, leite Telefonate ein und kommuniziere seine Wünsche an Vertreter der Einrichtung, in der er liegt, Pflegekräfte, Ärzte und mehr.

Hilf eventuell beim Ausfüllen von Formularen, bei allerlei Erledigungen, der Klärung der Vorsorge.

Erstelle mit dem Kranken Besucherlisten, wenn nötig. Er sagt, wer kommen darf, wer nicht. Du findest angemessene Wege und Formen, das zu kommunizieren.

Erfrage eventuelle Unzufriedenheiten mit der Versorgung. Gib diese Infos an die richtige Person weiter. Leite einen Klärungsprozess ein, bleib aber stets fair.

Hilf beim Entdecken und Benennen der dunklen Punkte, die das Herz des Sterbendskranken belasten. Finde heraus: Woraus besteht der Seelenschmerz ? Welche Möglichkeiten gibt es, ihn zu lindern oder erträglich zu gestalten? Gibt es Unerledigtes, das quält?

Sprecht über letzte Wünsche und  sucht Wege, sie zu verwirklichen, und sei es in einer geleiteten Imagination. Das, was möglich ist, realisiere mit dem Kranken, auch wenn es Aufwand ist. Es dient seinem Seelenfrieden.

Erlaube dir, auf deine Weise vom Kranken Abschied zu nehmen und den Abschied angemessen auszudrücken (Worte, ein Geschenk, ein Ausflug und mehr).

Signalisiere: Es darf mit mir über den Tod und das, was danach kommen könnte, geredet werden. Ich bin offen. Gib den Raum für den Kranken frei. Übertrage nicht deine Überzeugungen. Zurückhaltung ist gut.

Spende Trost im Gespräch, mit einer liebevollen Umarmung, halte die Hand, sei weich und sanft.

Wenn es gewünscht ist, betet gemeinsam, meditiert, singt Lieder. Summe/singe leise, vielleicht  ein Mantra oder ein Lied, das euch gut tut.

Höre aufmerksam, entspannt und aktiv zu. Du kannst ab und zu widerspiegeln, was du hörst.

Teilt eure Gefühle gemeinsam: weinen, lachen, Freude.

Gib Raum für den Ausdruck von negativen Gefühlen wie Wut, Schmerz, Anschuldigungen, Hass, Trauer, Tränen. Geh nicht darüber hinweg, verharmlose nicht und bleibe zugewandt. Schau, wo Wendepunkte sind, die den Umschlag in eine entspannte Stimmung fördern, und nutze sie.

Rege zum Nachdenken über mögliche Problemlösungen an, wenn das gewünscht ist.

Sei respektvoll, liebevoll und annehmend. Sieh den ganzen Menschen, nicht nur den Kranken im Bett.

Habt den Mut, miteinander still zu sein, ohne etwas zu tun.

Du kannst Sitzwachen übernehmen, einfach nur da sein mit offenem Herzen.

Atmosphäre kreieren

Hilf dabei, die Atmosphäre im Raum zu gestalten: mit Lichtern, Kerzen, Blumen, Düften, schönen Bilder an der Wand, Fotos, Texten, Musik. Bring inspirierende Videos mit, baue evtl. einen kleinen Altar auf. Du kannst einen Mp3 Player, ein Smartphone, Stofftiere, Kosmetikartikel besorgen, das gewünschte Parfum. Frage immer wieder, welche Dinge sich die Sterbende wünscht, damit sie sich gut fühlen kann,  Lieblingsgetränke und Snacks hole ans Bett. Alles, was sie braucht, stelle so hin, dass sie es mit den Händen erreichen kann.

Stelle das Bett so, dass der Kranke sich wohl fühlt; also möglichst nicht mit dem Kopfende zur Tür. Bringe seine Lieblingsbettwäsche  und Nachtkleidung mit. Stelle, wenn nötig, einen Paravent zum Nachbarn auf, um die Intimsphäre zu gewährleisten (im Mehrbettzimmer).

Wenn ein Mensch im Koma liegt, verlangsame dein Tempo, klopfe an die Tür, tritt ein und begrüße den Kranken, nenne deinen Namen, nähere dich dem Bett langsam, kommentiere leise deine Handlungen: „Ich hole jetzt einen Stuhl, setze mich neben dich etc.“  Begrüße ihn persönlich, indem du ihm ins Ohr flüsterst. Nimm dir Zeit für eine Einstimmung. Betrachte den Atem, nimm innerlich Kontakt auf. Sei vorsichtig mit Berührungen. Weniger ist oft mehr. Folge deiner Intuition. Nimm körperliche Reaktionen wahr. Sprich nicht mit anderen über den Kranken an seinem Bett, ohne ihn miteinzubeziehen! Kommuniziere deine Wünsche den Pflegekräften und Ärzten.                   

Copy of IMG_8118-k-2In Beziehung gehen

Eine große Chance des ehrenamtlichen Begleiters sind die Distanz zum Sterbenden, das „Nichtverwickeltsein“ in seine Familienstruktur, seine Neutralität und die Schweigepflicht.

Begleiten wir Angehörige, so ist die Nähe und Intimität, die wir teilen können, ein wertvoller Schatz. Das können wir uns bewusst machen.

Hab den Mut zu einer aufrichtigen, authentischen Begegnung, möglichst ohne Masken.

Es ist am Lebensende nicht an der Zeit, am Krankenbett, Familienfehden oder Streitigkeiten auszutragen. Arbeite daran, wie du vergeben kannst, wenn deine Beziehung gestört ist.

Wirke an deinem inneren Frieden, lass ihn in den Raum hinein fließen. Vielleicht kannst du öfter Gelassenheit und Mitgefühl ausstrahlen.

Ihr habt nicht mehr viel Zeit. Jeder Augenblick ist wertvoll. Mach dir das klar. Es hilft, respektvoll und achtsam mit dir und dem Sterbenskranken zu sein. Versöhne dich, so gut es geht.

Sei humorvoll, entwickle Freude an der menschlichen Begegnung.

Erkenne, dass die Kranke dein Spiegel, deine Lehrerin ist.

Manchmal ist stille Präsenz gefragt. Das bedeutet auch, Hilflosigkeit aushalten, ohne etwas zu tun und geduldig zu sein.

Bei aller Nähe, nimm auch die eigenen Grenzen wahr und respektiere sie. Wenn es geht, teile mit, was dir zu weit geht, und zwar sanft und verständnisvoll. Bleibe dabei in Kontakt.

Klarheit in den Vereinbarungen mit der Kranken ist wichtig, das beginnt bei der Terminabsprache. Rufe eventuell vor dem Besuch an, frage, ob dein Besuch heute passend ist, sage, wenn nötig, rechtzeitig ab. Unabdingbar ist Zuverlässigkeit.

Manchmal ist es gut, Notizen über Besuche anzufertigen, sich Zeit zu nehmen für eine Nachbereitung in Stille. Das bewahrt auch schöne Erinnerungen, wenn der geliebte Mensch gestorben ist.

Ab und zu eine Kerze für die Kranke zuhause anzünden, ihr Mitgefühl und Liebe schicken, das tut gut.

Sei beim Besuch für die Kranke da, und zwar mit Kopf und Herz. Du kannst dich vorher des Alltagsstresses entledigen (Methoden, siehe unten).

Vergib dir, wenn du Fehler machst oder deine Emotionen mit dir durchgehen. Das alles ist menschlich. Perfekte Begleiter gibt es nicht. Unvollkommenheit verbindet, kann sogar den Kranken entlasten, der täglich mit seiner Unvollkommenheit konfrontiert ist.

Gib dem Kranken auch den Raum, dir einen Rat zu geben. Begegne ihm auf Augenhöhe.

Sich selbst und dem anderen einen Raum geben

Wir können dem Sterbenden nur Raum geben, wenn wir als Helfende den Raum in uns schaffen!

Wende die Black Box Übung an: Du steckst deinen Stress, deine negativen Gedanken und Gefühle in eine schwarze Kiste, die du dir in deiner Phantasie vorstellst. Lass die Kiste, in die du deinen Ballast hinein gestopft hast, vor der Tür der Kranken stehen oder entspanne dich auf andere Weise, bei einer Tasse Tee, in der Natur, der Meditation, dem Gebet, dem Inne-Halten, bevor du die Kranke besuchst. Wenn du die  Türklinke zum Krankenzimmer drückst, bist du innerlich frei und offen für das, was kommt.

Nimm wahr, was in dir geschieht, deine körperliche, seelische und  geistige Befindlichkeit jetzt und lass deinen Geist zur Ruhe kommen. Der Atem ist ein gutes Medium. Spüre deinen Ein- und Ausatem, halte einen Atemzug inne und erst dann sprich oder handle. Nutze den Atem generell zum Innehalten.

Endschleunige dich. Alle Formen von Meditation, Gebet, Atem- und Körperübungen, die zentrieren, helfen. Wenn du langsamer bist, fördert das die Achtsamkeit.

Verbinde dich innerlich mit deiner Kraftquelle. Sie übernimmt, wenn du nicht weiter weißt, bitte sie um Hilfe. Das ist eine wertvolle Energielenkung. Du musst nicht alles alleine tun.

Alles ist ein Gleichnis. Versuche die Symbolsprache des Sterbenden zu deuten, versuche, auch die Umstände, auf die er trifft, sowohl real als auch symbolisch zu verstehen, und entwickle ein Gefühl dafür, was deine Aufgabe und wo dein Platz in diesem Mosaik ist. Nimm deinen Platz ein!

Gib der Kranken innerlich Raum für ihre Visionen, ihre Verrücktheiten, die vermeintliche Verwirrung. Sie darf in deiner Präsenz andere Räume betreten. Zieh aber auch Grenzen, wenn es nötig ist.

Höre auf dein Bauchgefühl, deine Intuition. Entwickle sie weiter. Hab Mut, dazu zu stehen!

Lerne, mitfühlend zu sein und diese Fähigkeit zu kultivieren. Das geht über Einfühlung/Empathie und das Finden der inneren Mitte zwischen den Extremen. Wichtig ist: Identifiziere dich nicht mit der Kranken, bleib bei dir und entwickle Verständnis für sie. Hierzu stelle dir kurz vor, du bist in ihrer Lage. Mach das ganz konkret. Du hast auch ihre Symptome. Du erlebst, wie das Leiden der Kranken sich anfühlt, aber auch, dass die Sterbende an einem anderen Punkt im Leben steht als du. Du wirst auch sterben, jedoch nicht jetzt. Nimm diese Spiegelung wahr. Lerne, die Spannung auszuhalten. Sie tut weh, macht Angst und hilft zugleich, tiefes Mitgefühl zu entwickeln, ohne mit dem Leiden der Kranken zu verschmelzen. Das stärkt dich innerlich. Ihr seid beide auf einer tiefen Ebene gleich und doch ganz unterschiedlich im Hier und Jetzt.

Sieh den liebenswerten Menschen im Sterbenden (in die Augen schauen, hilft). Er ist ein geistiges Wesen, das  bald den Körper verlassen wird. Trete so mit ihm in Verbindung und sieh, dass sein wahres Wesen heil ist und vollkommen, anders als der Körper, der gerade zerfällt. Der Körper gibt den Geist frei, das ist ein komplizierter Prozess. Etwas löst sich auf. Etwas Neues beginnt. Du bist Zeugin.

Halte die Balance zwischen Empathie und und eigenen heftigen Gefühlen (wie Angst, Euphorie) und den Bedürfnissen des Sterbenden mit Hilfe von achtsamer Einfühlsamkeit in deine Befindlichkeit und die Situation als Ganzes. Spüre, wo du gerade im Moment stehst, und hole den Anderen, dort ab, wo er ist. Achte auf deinen Körper, was er gerade empfindet. Geh immer wieder dorthin zurück, wenn du dich verlierst im Bodenlosen. Wende dich dann wieder der Kranken zu.

Der beste Schutz, die größte Hilfe sind ein offenes, mitfühlendes Herz sowie die Fähigkeit, die eigene Vergänglichkeit und Endlichkeit zumindest wahrzunehmen und daran zu arbeiten, sie zu respektieren, vielleicht sogar zu akzeptieren. Sterbende sind Spiegel unserer eigenen Auflösung, damit wertvolle LehrerInnen.

Vergib dir Fehler, sei sanft und nicht streng mit dir. Nichts ist perfekt. Lasse dich, den anderen, die Umstände so sein, wie sie sind. Oft sehen wir den Sinn nicht, der hinter all dem Geschehen liegt. Manchmal offenbart er sich später und du weißt dann, warum es sich gelohnt hat, anzunehmen, was ist.

Sei dir klar darüber, nicht dein Wille geschieht, sondern halte dich respektvoll im Hintergrund. Lasse geschehen, auch wenn du anderer Meinung bist. Nimm dich zurück in deinen Urteilen und Wertungen. Am besten, verzichte ganz auf sie. Es kommt, was kommt. Du tust, was sich ergibt, mit offenem Herzen.

Wenn du die Dinge nicht ändern kannst, dann nimm sie so, wie sie sind. Du bist nur ein Moasaiksteinchen im Gesamtkunstwerk der Natur, die sich am Ende ihren Weg bahnt.

Hab den Mut, deine Hilflosigkeit auszuhalten und nichts zu tun. Es hilft, zu entschleunigen und vom Aktivitätsmodus auf Präsenz im Moment umzuschalten. Du wirst innere Unruhe, einen unbändigen Tatendrang oder Angst spüren. Im Kopf tobt die Zerstreuung. Fokussiere dich auf den Atem oder ein anderes Objekt. Visualisiere deine spirituelle Kraftquelle. Beten hilft, singen, die Rezitation eines Mantras als Japa (das heißt: still) und alles, was in die innere Mitte führt.

Lass deine Ansprüche, deinen Perfektionismus los, damit leitest du nur Schuldgefühle ein. Unvollkommenheit, Komplikationen gehören zum Leben und zum Sterben.

Alles hat einen Sinn, wenn der auch nicht sichtbar ist. Leiste keinen Widerstand, sei durchlässig und dankbar für das, was du erleben darfst, um zu lernen und zu wachsen. Der Tod ist einer der größte Lehrmeister.

Lisa Freund
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