„Wir sind nur eine ganz kleine Episode in der Geschichte der Menschheit“

Gespräch mit Klaus Panzer, der seit 2014 von seiner unheilbare Krankheit weiß, und regelmäßig von seinem Leben in einem Blog berichtet

Klaus Panzer, geboren 1945, ist promovierter Ingenieur und Mitgesellschafter des Medienhauses „Der neue Tag“ in der Oberpfalz, das einen Verlag, ein Druckzentrum, ein Internetportal und Zustellerdienste unter einem Dach vereint. Man kann also sagen: Herr Panzer ist ein erfolgreicher Mensch. 2014 erhielt er die Diagnose Prostatakrebs. Seither schreibt er einen Blog über seinen Krankheitsverlauf. So schrieb er nach einer Wanderung: „Ich sehe nicht, wohin der Weg führt, wann und wie er endet. Aber es ist ein schöner Weg und die Blumen am Wegesrand bringen Freude!“


Guten Tag Herr Panzer,

klaus-panzer„Der Arzt dort sagte zu seinem Gehilfen, da haben wir wieder den Klassiker, die Leute kommen, wenn es zu spät ist. Es wurde mir klar gemacht, dass meine Krankheit nicht mehr heilbar ist und alle Maßnahmen palliativ zu verstehen sind.“ So steht es im ersten Eintrag Ihres Blogs von August 2014 über eine Situation im Krankenhaus vom März 2014. Da waren Sie 68 Jahre alt. Seither beschreiben Sie Ihr Leben mit dem Krebs sehr ausführlich.
Hat sich die Sicht auf das Leben, ihre innere Einstellung seither geändert?

Sie hat sich sehr verändert. Ich habe gelernt, mit dem Gedanken an das Ende besser umzugehen. Im Gegensatz zu manch anderen Krebsarten lässt mir PCa [1]PCA3 bezeichnet einen Biomarker für das Prostatakarzinom ja in der Regel Zeit, um in die Aufgabe, den letzten Lebensabschnitt zu gestalten, hinein zu wachsen.

Schon ein paar Wochen nach der Diagnose begannen Sie, einen Blog zu schreiben. Was hat Sie dazu bewogen?

Meine Tochter hatte einen Blog zu einem allgemeinen Thema begonnen und ich probierte das auch einmal. Mir gefiel die gute Software von Google, die kostenlos bereitgestellt wird. Es machte mir Spaß, damit zu arbeiten.

Bald hatte ich auch gelernt, dass es gut tut, offen mit der Krankheit umzugehen, wie es z.B. Henning Mankell [2] schwedischer Schriftsteller und Theaterregisseur, der im Oktober 2015 an Krebs starb gezeigt hat.

An wen wenden Sie sich mit Ihrem Blog?

Zunächst war mein Blog nur als Informationsplattform für Verwandte und Freunde gedacht. Ihnen gab ich den Link, um nicht immer erzählen zu müssen, wie es mir geht. Der Link wanderte im Lauf der Zeit weiter und die Zugriffszahlen stiegen.

Auch wenn ich heute nicht weiß, wer liest – ich will das auch gar nicht unbedingt wissen – so freue ich mich doch über die Anteilnahme und ich habe schon sehr viele positive Reaktionen bekommen.

Nicht zuletzt schreibe ich auch für mich selbst und blättere manchmal in den alten Beiträgen.

Schon früh nach Ihrer Krebs- Diagnose schreiben Sie: „Der Patient kann sich meist in Ruhe auf sein Ende vorbereiten und alles regeln“. Sehen Sie das heute, zwei Jahre später, immer noch so?

In einer Philosophiezeitschrift habe ich gelesen, das Leben insgesamt bekommt seinen Sinn erst durch seine ultimative Deadline. Jeder braucht sie, damit sich etwas tut. Beim Bestatter waren wir schon und ein Grabplatz ist auch gefunden. Nun sehe ich aber schon die Gefahr, dass ich manche Dinge vor mir herschiebe, wenn ich eine gute Phase habe. Zurzeit erinnern mich jedoch die Knochenschmerzen deutlich an das Fortschreiten der Krankheit und ich bin froh, dass wir nächste Woche endlich einen Termin beim Notar für den Erbvertrag haben.

Auch über individuelle Abschiedsbriefe will ich mir Gedanken machen und nicht warten, bis ich halb tot bin.

Sie veröffentlichen Ihre Krankengeschichte und Ihre ausführlichen medizinischen Blutwerte auf einer spezialisierten Schweizer Web-Site, zusammen mit vielen anderen Betroffenen. Warum?

Sie meinen myprostate.eu? Diese Plattform ist etwas Besonderes. Hier wird nicht diskutiert und es gibt keine obskuren Ratschläge, wie in vielen anderen Internetforen. Jeder stellt unter einem Pseudonym seine Daten zur Verfügung und das Programm zeichnet eine Kurve zum PSA-Verlauf [3]PSA ist ein Enzym, dessen Konzentration im Blut bei bestimmten Prostataerkrankungen steigt, was für uns Prostatakranke fast so eine Art Lebenslinie ist. Man kann auch persönlich Kontakt aufnehmen und ich habe schon Freunde gefunden. Besonders am Anfang, als aufmerksame Leser merkten, dass ich ein Neuling bin, bekam ich viel wertvolle Hilfe.

Palliativ-Mediziner sagen, dass die meisten Menschen nicht Angst vor dem Tod haben, sondern vor den Schmerzen. Was meinen Sie dazu?

Dem stimme ich für mich absolut zu. Es heißt zwar immer, es gibt gute Mittel, keiner muss heute mehr leiden und bei Palliativpatienten sind die Ärzte nach meiner Erfahrung großzügig beim Verschreiben. Aber ich habe die Erfahrung gemacht: Es gibt ihn nicht den „Schmerzschalter“ aus der Fernsehwerbung. Starke Mittel verändern auch die Psyche und das ist mir unheimlich. Bei einem Schmerzmittel spüre ich schon eine gewisse Abhängigkeit: Wenn es fehlt, falle ich in solch ein Loch, dass es auch meine Frau merkt.

Vor dem ultimativen Einschlafen habe ich keine Angst.

Sie haben sich – so schreiben Sie – schon früh Ihre „vorletzte Ruhestätte“ eingerichtet, einen Raum in Ihrem Haus mit Musik-Anlage und Fernsehen. Was macht das Leben lebenswert bis zuletzt?

Darüber habe ich oft nachgedacht. Wenn ich mich stark fühle, kommt schon der Wunsch, noch was ganz Tolles zu machen. Aber wenn es dann wieder schlechter geht, bin ich froh zuhause zu sein. Ein Höhepunkt ist 3D Fernsehen (mit Brille) in meinem Kellerkino, das auch die Enkel schätzen. Ich habe aber auch gelernt, dass es glücklich macht, so ganz einfache Dinge, wie Einkaufen oder Rasenmähen machen zu können, als wäre ich gesund. Man sieht mir ja auch die Krankheit (noch) nicht direkt an.

Sie haben offenbar früh angefangen, sich intensiv mit medizinischen Themen und dem Tod zu beschäftigen. So wurden Sie Mitglied in der Sterbehilfe-Organisation „Dignitas“ in der Schweiz. Was erhoffen Sie sich von „Dignitas“?

Es war mir in meinem ganzen Leben immer sehr wichtig, mein Leben selbst in der Hand halten zu können. Bei allem Respekt vor der Arbeit in den Hospizen möchte ich doch bis zum Schluss die Fäden in der Hand halten, soweit ich dazu in der Lage bin. Da meine Tochter in der Schweiz wohnt, dachte ich an eine letzte Fahrt dorthin und wurde gleich nach meiner Diagnose Mitglied bei Dignitas. Wie ich aber heute weiß, schrecken mich die nötigen Vorbereitungen und Details ab und ich werde sicher keinen Gebrauch von Sterbehilfe in der Schweiz machen. Den Mitgliedsbeitrag zahle ich weiter, weil ich die Arbeit gut finde.

Sie haben einen ausgeklügelten Apparat gebaut, den Sie „Türöffner“ nennen und mit dem Sie Ihren eigenen Tod herbeiführen können, auch wenn die letzten Kräfte schwinden. Selbstbestimmt den Zeitpunkt Ihres Todes herbeiführen zu können, ist Ihnen offenbar sehr wichtig. Was spricht dagegen, den Todeszeitpunkt dem Schicksal zu überlassen?

Die Idee zu dem Türöffner kommt von einem Freund aus dem besagten Forum. Er sagte, dass er Leute so erbärmlich hat sterben sehen, dass er für sich eine Alternative braucht. Wir – beide Ingenieure – machten uns an die Arbeit und entwickelten ein Verfahren, das in Asien weit verbreitet ist. Wer keine zwei linken Hände hat und sich ein bisschen mit Physik auskennt, schafft das mit Material aus dem Baumarkt. Die Arbeit – einfach das Gefühl, etwas tun zu können – hat sogar Spaß gemacht und ich glaubte, damit wäre das Problem gelöst!

Erst jetzt, wo der Einsatz des Türöffners eher in greifbare Nähe kommt, merke ich: das eigentliche Problem ist der richtige Zeitpunkt! Und damit komme ich zu Ihrer Frage.

Es spricht überhaupt nichts dagegen und ist viel einfacher, den Todeszeitpunkt dem Schicksal zu überlassen. Wenn aber wirklich einmal der letzte Rest an Lebensfreude weg ist, dann möchte ich nicht warten müssen, bis auch das letzte Organ seinen Dienst einstellt.

Für die Angehörigen ist es ja auch eine Last, dem Leiden zusehen zu müssen und nichts tun zu können. Um dieses „Loslassen“ werde ich meine Frau als letzten Liebesbeweis bitten.

Keiner weiß, wie das Ende wirklich ablaufen wird. Aber mir hilft es sehr, eine Option zu haben. Dass ich davon nicht leichtfertig Gebrauch machen werde, wissen alle. Ich habe der Familie versprochen, mich nicht heimlich davonzuschleichen.

Sie beschreiben eine Situation nach einer Operation, in der Sie „die blauen Gestalten im Aufwachraum für Engel gehalten“ haben, interpretieren dies als „religiöse Fundamente aus der Kindheit“. An anderer Stelle beschreiben Sie sich und Ihre Frau als „gute Katholiken“ und zitieren die Liedstrophe:

6. Segne Du Maria, unsre letzte Stund!
Süße Trostesworte flüstre dann Dein Mund.
Deine Hand, die linde, drück das Aug uns zu,
|: Bleib im Tod und Leben unser Segen Du!:|

Hilft Ihnen Ihr Glaube in Ihrer Krankheit und können Sie uns sagen, was Sie innerlich stärkt?

Da muss ich ganz klar nein sagen. Dass ich das Marienlied zitierte, lag wohl an der ergreifenden Stimmung in der Kirche, von der ich wohl noch etwas mit nach Hause getragen habe.

An einem anderen Tag schreiben Sie:
„Bei dieser Musik wird Weihnachten 1972 lebendig, als unser lange gewünschtes, erstes Kind Oliver starb. Leid und Trauer sind noch präsent!
Auch wenn meine Frau und ich sehr unterschiedliche Vorstellungen vom „Jenseits“ haben, sind wir uns darin einig, dass wir einmal – egal was kommt – dorthin gehen werden, wohin uns Oliver vorausgegangen ist.“
Wie sieht es aus, das Jenseits, in das Oliver vorausgegangen ist?

Wenn ich mich erinnere, wie ich als Kind vor etwa 60 Jahren den Himmel sah, wird mir wieder klar, wie sehr sich die Welt im Laufe meines Lebens verändert hat. Keiner, auch nicht mein Sohn mit abgeschlossenem Theologiestudium, kann mir heute schlüssig sagen, wie das Jenseits aussieht. Aber wenn es da doch noch etwas gibt, dann treffen wir Eltern dort unseren Oliver.

Viele Menschen tröstet es, sich einen Gott, Engel und andere Wesen aus einer anderen Welt vorzustellen. Was denken Sie über diese Menschen?

Ich bewundere diese Leute, wenn sie so einen starken Glauben haben, dass ihnen das hilft.

Ein Eintrag in Ihrem Blog lautet:
„Familienrat – Alle sind gekommen und wir haben über Alles gesprochen! Es tut gut, keine Geheimnisse bewahren zu müssen. Aufgaben wurden verteilt und mit meiner Frau habe ich einen Beratungstermin bei einem Bestatter vereinbart. Das Kapitel Beerdigung habe ich bislang eigentlich immer stiefmütterlich behandelt, nach Motto, ist mir doch egal…

Aber an dem Abschied von einer nahe stehenden Person habe ich gelernt, dass ich da mehr tun muss, solange ich in der Lage bin. Es ist – glaube ich jetzt – irgendwie auch ein Akt der Wertschätzung der Trauer der Hinterbliebenen, wenn ich versuche, den Abschied persönlich zu gestalten.“
Wie kann man sich das vorstellen – haben Sie aufgeschrieben, wie Sie sich die Zeit nach Ihrem Abschied vorstellen? Teilen sie einige Ihrer Gedanken mit uns?

Zum Notar geht es nächste Woche. Mit meiner Frau war ich bei einem Bestattungsinstitut und wir haben alles geregelt. Was Wohnung und Hausrat betrifft, so gibt es heute leistungsfähige Entsorgungsfirmen, so dass ich es nicht als meine Aufgabe sehe, den Keller aufzuräumen.

Die Welt wird nicht zusammenbrechen, wenn ich nicht mehr da bin. Ich sehe das an dem, was von meinen Eltern geblieben ist: Ein kleiner Koffer mit den wichtigsten Dokumenten, einschließlich Ahnenpass mit Vorwort von Adolf Hitler. Keiner schaut da ohne Not rein.

Wir sind eben nur eine ganz kleine Episode in der Geschichte der Menschheit und es ist immer eine Freude, an Kindern und Enkeln zu sehn, dass es weitergeht.

Das Leben wird auch ohne mich weitergehen. Sorgen mache ich mir nur um meine Frau und es tut mir sehr leid, sie einfach so sitzen zu lassen.

Welches Buch, Lied oder Bild zum Thema Sterben und Tod möchten Sie unseren LeserInnen empfehlen?

Ich bin jetzt nicht so der Bücherwurm und zum Thema Tod gibt es unendlich viel!

Gelesen habe ich „Treibsand“ von Mankell. Er beschreibt da, immer mit Bezug auf seine Krankheit, sein Leben in kleinen Episoden.

Da wir gerne Kreuzfahrten unternahmen und oft an der Nordsee waren, habe ich schon mal an eine Seebestattung gedacht. Aber den Angehörigen nur Koordinaten für den Ort der Trauer zu geben, fand ich dann doch nicht optimal

An Liedern finde ich „Die letzte Fahrt“ von Santiano sehr gut, oder auch – ganz anders – „Das Leben ist schön“ von Sarah Connor (Album Muttersprache).

Aber zu meinem Grabplatz mit Erdbestattung und Leichenschmaus im Gasthaus gegenüber passt vielleicht doch am besten „A scheene Leich“ der Geschwister Well.

Herr Panzer, wie danken Ihnen für das Gespräch.


Den Blog von Herrn Panzer finden Sie hier:

http://letztabent.blogspot.de/

 

Michael Ziegert
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2 Antworten

  1. Maria und Josef Niederalt sagt:

    Vergeltsgott für Deine heutige Nachricht lieber Klaus.Menschen wie dich wen man im Leben findet das bereichert das dasein und denn Sinn des Lebens.Mit zuversicht in die Zukunft,alles Gute für ein weiteres Leben.Danke Klaus und Bärbel für die schönen Jahre in München die Ihr uns in der z.T.schweren Jahre Begleitet habt.Maria und Josef.

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