Leben bis zuletzt

Was tun, wenn jemand seinen letzen Augenblick selbst bestimmen will?

Johannes Schlachter
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Fazit 

Ich möchte keine Gesellschaft, in der Suizid ein gängiger Ausweg ist. Aber ich möchte einen respektvollen Umgang mit den Menschen, die trotz aller Aufklärung klar bei dem Wunsch bleiben, ihr Leben beenden zu wollen. Es fängt schon bei der Sprache an. Hier sollte nicht von Selbstmördern geredet werden. Das oberste Gebot ist, die Menschen ernst zu nehmen, ihre Ängste und Befürchtungen zu hören. Angebote müssen so gemacht werden, das sie individuelle Antworten auf die Situation des Einzelnen sind. Pauschale Aussagen, z.B. mit der Palliativmedizin verliert sich der Wunsch, Hilfe beim Sterben zu bekommen, stimmen nur in den meisten Fällen. Aber dem Einzelnen, dem Musikprofessor, der an ALS erkrankt ist und in die Schweiz fährt, oder eben Paul wird das nicht gerecht.

Laut Aussagen meiner damaligen Kollegen blieb der Suizid von Paul ein Einzelfall in dieser schweizerischen Einrichtung. Damit zu leben, dass Paul meine Bereitschaft für ihn bis zuletzt dazu sein, nicht angenommen hat, fällt mir leichter, weil er von vertrauten Menschen in seiner letzten Entscheidung begleitet wurde. Als Mitarbeiter im Hospiz möchte ich für die Begleitung des Menschen in schwierigsten Situationen, für kompetente medizinische, pflegerische und psychologische Unterstützung eintreten. Diese Aufgabe genügt. Dazu beizutragen, dass jemand sein Leben beendet, kann nicht zu meinen Aufgaben zählen.

In der gesellschaftlichen Diskussion über die Regelungen der Sterbehilfe in Deutschland 2015, und zwar vor der Verabschiedung der neuen Regelungen, gab es ein Ringen und Nachdenken. Das war eine gute Gelegenheit über Werte zu sprechen. Es ging um die Bedeutung der Autonomie in einer fürsorglichen Gesellschaft und die Kritik am Paternalismus. Autonomie geht nicht ohne Verantwortung. Entscheidungen aus Angst vor etwas Unbekanntem fällen wir nicht als autonomes Individuum. Und ja, es lohnt sich vielleicht, den Grund seines Lebens erst beim zu Grunde gehen zu entdecken.

Noch zwei ketzerische Fragen zum Schluss: Wenn wir heute schon keine optimale Versorgung unserer Hochbetagten gewährleisten können, wie wollen wir das angesichts der Alterspyramide in Zukunft schaffen? Werden wir auch dann eine lebensbejahende Betreuung noch ermöglichen? Wertvoll und wichtig ist der Einsatz für die palliative Versorgung – sie wird in keinem Fall weniger werden dürfen. Am Ende wollen wir alle eine Gesellschaft, in der wir für einander da sind.


Links zu weiteren Artikeln

ZEIT online:

http://www.zeit.de/2001/18/Wer_hier_sterben_will_dem_wird_geholfen/seite-5

Wie eine würdevolle Betreuung von Menschen im Hospiz aussehen kann und was sie bewirkt, wird deutlich an der Arbeit von Johannes Schlachter, seiner Einstellung und dem Selbstverständnis von Ricam, die in diesem Text beschrieben werden. Der Artikel ist von 2001 und immer noch aktuell.

http://www.nak-humboldthain-online.de/Interview-Hospiz.htm

Im Interview mit Johannes Schlachter erfahren Sie, was Hospizarbeit bewirken will, und wodurch sich ambulante und stationäre Arbeit unterscheiden. Sie erhalten Informationen über die Entwicklung der Berliner Hospizlandschaft. Der informative Text stammt aus dem Jahr 2013.

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