Prozesse des Loslassens

Das Phasenmodell von Dr. Elisabeth Kübler–Ross, Pionierin in der Sterbeforschung

Dr. Elisabeth Kübler-Ross hat in ihren Interviews mit Sterbenden Prozesse beschrieben, die sowohl die Angehörigen als auch die Sterbenskranken einige Zeit vor dem Tod, Angehörige auch danach, durchleben. Ihre Erkenntnisse sind bis heute hilfreich. Manchmal erleben Kranke und ihnen Nahestehende die fünf Phasen, die sie beschreibt, zeitversetzt oder gänzlich unabhängig voneinander. Hier stelle ich die von ihr beschriebenen Prozesse in Kurzform vor und gebe Hinweise für den Umgang mit Problemen, die entstehen können. Die Phasen können sich abwechseln, ineinander über gehen. Manchmal überwiegt eine Haltung wie Ignoranz, diese enthält jedoch auch Elemente einer anderen. Es kommt ganz auf die Persönlichkeit an, die vor uns ist. Es gilt für Begleiter, Verständnis zu entwickeln, nichts persönlich zu nehmen, da bleiben, nicht weg laufen, sich um Verständnis bemühen, wenn nötig Grenzen ziehen, den Kontakt halten, authentisch sein. Wertschätzung und Respekt vor dem Menschen, den Sie betreuen, sind die Basis für die Begegnung.

unsplash-pixabay-dandelion-692317_1280Ignoranz: Die Triebkraft dahinter ist große Angst

Hier geht es um das Nichtwahrhabenwollen, dass meine Krankheit zum Tod führt, und Fluchtverhalten (eine Reise planen), die Verdrängung des Unabwendbaren. Suchtverhalten kann stärker werden, Schwäche, Antriebslosigkeit, Empfindlichkeiten können zu nehmen. Die Kranke verbietet vielleicht, über die Krankheit, den Tod zu sprechen, blockiert das Abschiednehmen, was für die Angehörigen sehr schwer sein kann. Es gibt Tabuzonen, Reizwörter wie Tod, Krankheit, Testament, Hospiz, Abschied, die nicht ausgesprochen werden dürfen. Die letzten Dinge werden nicht geregelt, weil sie gedanklich ausgeblendet werden. Ignorante Angehörige sagen: Es wird schon wieder … ! Sie weigern sich grundsätzlich, über den Tod zu reden, überhören die Warnungen der Ärzte, palliative Versorgung wird abgelehnt. Das führt früher oder später zu größeren Komplikationen. Aufklärung ist wichtig, auch wenn Vermeidungsverhalten den Ton angibt. Man weiß irgendwo, der Tod kommt, tut aber so, als sei das gerade jetzt nicht der Fall und lebt in einer Illusionswelt. Bricht diese zusammen, braucht man Hilfe, sollte mitfühlend begleitet und gestützt werden.

Für Begleiter ist es wichtig, die große Angst bis hin zur Panik zu spüren und zu respektieren, die zu diesem Verhalten führt, und mitfühlend zu sein, nicht ablehnend. Der Gegenpol zur Angst ist Vertrauen. Daran zu wirken, hilft. Auch hier gilt: Hab Respekt vor diesem Verhalten. Es hat für den Kranken einen Sinn, auch wenn er Einsichten vermeidet. Grenzen können angemessen, situationsadäquat und liebevoll kommuniziert werden. Reisen gehen auch in der Phantasie, vielleicht mit den Katalogen in der Hand. Letztlich geht es um die letzte Reise. Sie führt in eine andere Dimension. Akzeptanz und Respekt gegenüber dem Kranken sind wichtig. Letztlich verhält er sich so, wie es in unserer Gesellschaft üblich ist. Jeder versteht, dass keiner sterben will.

Aggression: Die Triebkraft dahinter ist abgrundtiefe Verzweiflung

Es kann zu Wutausbrüchen, dem Beschuldigen von Angehörigen, Pflegenden, Ehrenamtlichen, unkontrolliertem Ärger bis hin zu Hassprojektionen von Seiten des Sterbenden kommen. Das ganze Spektrum von Ablehnung und Zurückweisung kann aktiviert werden, womöglich kommt es zu Handgreiflichkeiten. Je näher ein Mensch dem Kranken steht, ums so hefiger wird er angegriffen, zum Beispiel mit Vorwürfen, die es in sich haben, wie „Du bist schuld an meinem Krebs“!

Sieh die Not, die tiefe Verzweiflung des Kranken, geh mit ihr in Resonanz, nimm die Angriffe möglichst nicht persönlich, ziehe aber auch deine Grenzen dort, wo es sein muss. Mach deutlich, auch wenn du dich distanzierst: Ich verlasse dich nicht. Ich komme wieder, brauche nur eine Verschnaufpause. Wenn deine Seele verletzt bist, suche Hilfe in Gesprächen mit Menschen, die dich unterstützen. Bearbeite deinen Schmerz mit ihnen und finde Wege, trotzdem hilfreich für den Kranken zu sein. Verlier nicht dein Mitgefühl. Reagiere nie mit Gegenaggression; das hilft nicht weiter. Der Sterbende wird alles verlieren, was ihm wichtig ist. Du hast noch alles, was du brauchst. Sieh woher die Not kommt. Es könnte sein, du liegst da im Bett. Wie würdest du handeln? Versetze dich in die Lage des Kranken und verstehe ihn von innen heraus, auch wenn es schwer fällt.

jeny-pixabay-fluff-348814_1920Depression: Die Triebkraft dahinter ist tiefe Resignation bis hin zur Apathie

Du erlebst Apathie, Gefühlskälte, völligen persönlicher Rückzug, die Verweigerung von Kommunikation. Du kommst, der Kranke dreht sich zur Seite, tut so, als ob er schlafe, redet nicht mit dir oder schickt dich weg. Angehörige finden Ausflüchte, um nicht beim Kranken sein zu müssen (Ich will ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn kenne, daher komme ich jetzt nicht). Sie empfinden lähmende Traurigkeit, Antriebsschwäche, den Wunsch, alles möge schnell aufhören oder vermeiden, an ihn zu denken, gehen dem Alltag nach, alles Leid verdrängend. Dieses Verhalten kostet viel Kraft. Ein innerer Vulkan wird immer wieder neu gedeckelt. Die Nerven liegen schnell blank. Der Kranke durchwandert die Nachtseiten der Seele. Die Atmosphäre im Raum kann niederschmetternd sein. Eigene depressive Anteile werden bei den Besuchern aktiviert. Es gibt große Angst vor den Gefühlen von Verzweiflung, Schmerz und Traurigkeit, auch Wu und Liebe.

Geh mit der abgrundtiefen Resignation in Resonanz, die hinter diesem Verhalten steht: Weil ich alles verliere, mich sogar selbst auflöse, bin ich so motivationslos und lethargisch. Alles ist mir egal. Ich hab keine Freude mehr, an gar nichts. Was hilft? Liebe, zuverlässiger, einfühlsamer Kontakt, Mitgefühl, die Fähigkeit, den anderen sein zu lassen, Humor an der richtigen Stelle, vielleicht auch sanfte Berührung oder einfach da sein, mitaushalten, was geschieht.

Verhandeln wollen: Der Tod wird angenommen, nur noch nicht ganz – entweder spirituell (Gott als Partner) oder real (Ärzte, Pflegepersonal)

Man will dem Tod ein Stückchen Zeit/Leben abtrotzen bis zum Geburtstag oder bis zu Weihnachten, noch so lange auf der Welt sein, bis ein selbst gesetztes Ziel erreicht ist. Die Kranke verspricht dem Arzt, die Medizin wirklich regelmäßig zu nehmen oder täglich zu Gott zu beten, in der Hoffnung, das Leben noch ein wenig zu verlängern. Es geht um einen Aufschub. Innerlich ist es ein Wanken zwischen Akzeptanz – ja ich werde Sterben – und Verdrängung – aber später, nicht jetzt !

Sei liebevoll, humorvoll, und wertschätzend mit der Kranken, unterstütze, wo es geht, seine Wünsche.

Loslassen bedeutet, Annehmen, was ist – mit allem Frieden schließen

Wir erleben Freundlichkeit, Mitgefühl mit allen anderen, einen entspannten Umgang mit uns selbst, den Umständen, dem Tod. Es gibt ein Strahlen im Gesicht des Kranken. Seine Freude an den kleinen Dingen wächst, das Leben geschieht von Moment zu Moment, ohne Pläne, ohne Erwartungen. Dankbarkeit ist spürbar. Jeder, der kommt, ist willkommen. Liebe und Humor bestimmen den Umgang. Das Schicksal wird angenommen. Hadern und Kämpfen münden in eine eindrucksvolle innere Reife, tiefes Vertrauen. Menschen, die das ausstrahlen, machen aus dem Krankenzimmer eine Oase des Friedens. Dort tankt jede auf, die kommt, auch die Pflegekräfte. Dieser Mensch ist bereit für den Übergang und zu einem Lehrmeister geworden.


Die folgende Dokumentation enthält auch einige Informationen über die Sterbephasen.

Elisabeth-Kübler-Ross: Dem Tod ins Gesicht sehen

Ein Film von Phillipp Schweiger

Der Film ist ca. 100 Minuten lang und in You Tube in 10 Teilen zu sehen.

Dieses Video zeigt das Leben von Elisabeth Kübler Ross, deren erstes Buch „On death und dying“ war eine kleine Revolution. Es hatte eine Auflage von über eine Million Exemplare und wurde in 26 Sprachen übersetzt. Bis heute ist es ein Grundlagenwerk der Hospizbewegung. In eindrucksvollen Bildern erleben sie die Pionierin der Hospizbewegung bis kurz vor ihrem Tod, lauschen ihren Interviews, betrachten die Dokumentation von wichtigen Lebensereignissen. Sie sehen ihre Erfolge, ihre Misserfolge, erleben sie in den Windstürmen des Leben, die, wie sie sagt, „…Wurzeln geben und helfen zum Wachsen.“ Ihr Verständnis für Sterbenskranke, die tiefen Einsichten in Leben und Tod werden in persönlichen Äußerungen deutlich, ihr Familienleben, auch ihre Hinwendung zu esoterischem Gedankengut am Lebensende sowie der Kampf mit ihrer Krankheit sind Teil des Films. Sie ist eine Rebellin, stirbt einsam mit Unterstützung eines Heilers, den ihr eine Fügung ins Haus beschert. Es ist eine umfassende Dokumentation, die ein Pionierin der Hospizbewegung mit eindrucksvollen Bildern mit ihren starken und ihren schwachen Seiten vorstellt, feinfühlig kommentiert.

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Lisa Freund
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Eine Antwort

  1. 21. April 2017

    […] zur gleichen Zeit, 1969, veröffentlicht Elisabeth Kübler-Ross, eine damals noch unbekannte Psychiaterin aus der Schweiz, in den USA das Buch „On death and […]

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